Mittwoch, 24. September 2008

creme 21 youngtimer rallye


Wüstenwind über Usedom

Mit Scirocco & Co durch Neue Bundesländer


In Templin herrscht große Aufregung. Hunderte Zuschauer aller Generationen treiben sich seit über einer Stunde auf dem historischen Marktplatz herum. Ein mahnender Fingerzeig auf die Armbanduhr ragt plötzlich aus der Menge. „Noch 10 bis 15 Minuten“, vertröstet der Moderator, der auf der kleinen Bühne zwischen Wurst- und Bierstand steht, schon zum dritten Mal. „Da, ein Porsche und ein Opel Commodore!” ruft einer der Umstehenden überrascht. Und dann folgen, Stoßstange an Stoßstange, die restlichen 113 Starter der „Creme 21 Youngtimer Rallye 2008”.

Die in Fachkreisen kurz „Creme“ genannte Veranstaltung überflog am letzten Wochenende die hügeligen Landschaften Nordost-Deutschlands. Die Strecke führte von Helmstedt über Templin und Usedom nach Berlin. Unter den Fahrzeugen aus den Jahren 1966 bis 1988 rangierten neben historischen Alltagsautos wie Ascona, Bulli und Käfer auch Exoten wie Opel Diplomat und Lamborghini Countach. Alles, was der Generation um die 40 aus Zeiten der Prilblümchen und Batik-T-Shirts noch bekannt ist, wird hier zum Thema gemacht. Schrill wie das Orange der bekannten Cremedose ist daher das Programm. Die sportlichen Aufgaben beinhalten – im Gegensatz zu herkömmlichen Rallyes – keine zeitlichen Fahrprüfungen. So gilt es etwa, Rätsel zu lösen, Creme-Dosen zu stapeln oder Gedichte aufzusagen. Dies allerdings mit laufender Stoppuhr. An den vier Tagen haben die Pilotinnen und Piloten dennoch viel Zeit für Land, Leute und Fahrspaß. Mit einem 78er Scirocco aus dem ZeitHaus, dem Museum der Autostadt Wolfsburg, sind wir also unter Gleichgesinnten.


Als unser viperngrünmetallicfarbener GT der ersten Generation am Bierstand zwischen den Zuschauern vorfährt, wird applaudiert. Das nach dem heißen, afrikanischen Wüstenwind benannte Sportcoupé ist offenbar bekannt, auch wenn es im Brandenburg der Siebziger eher selten gesehen wurde. Ab 1974 wurde es von Designer Giorgio Giugiaro als Nachfolger des Karmann Ghia entwickelt und parallel zum Golf I in Osnabrück gebaut. Unser Modell hat eine sportliche Form, ist komfortabel und mit 12.915 DM bezahlbar. Kein Wunder also, dass in den ersten sieben Baujahren über eine halbe Million des Volks-Sportwagens vom Band liefen. Die zweite Generation von 1981 bis 1992 folgte unmittelbar und ist im Rückspiegel zu sehen. Hinter uns drängelt das Sondermodell „White Cat“ von 1985, ein Scirocco „Tropic“ ist auch schon vorgefahren. Sie alle freuen sich bereits auf die Tagessiegerehrung. „Hier gibt es sogar einen Preis für den 21. Platz“, lacht ein Wiederholungstäter im wild gemusterten Hemd und mit Afro-Perücke, der zum fünften Mal mitfährt, und schon sein Begrüßungsbier in der Hand hält.



Am nächsten Morgen führt die erste Tagesetappe von Templin nach Groß-Dölln zum Driving Center. Die laufenden Motoren hüllen den Hotel-Plattenbau mit Wohlfühlwelt in blauen Dunst und Motorenlärm. Wir können es kaum erwarten, auf dem ehemaligen russischen Militärflughafen Runden zu drehen und Prüfungen zu bestehen. Denn dort wird eine Ausnahme zum herkömmlichen Rätselspaß gemacht. Es darf Motorsport geübt werden. Wir schwingen uns in die zur Lackierung passenden grün-karierten Sitze unseres Spaßautos und stürmen Richtung Fahrtrainingscenter.

Die Nasshandling-Strecke ist bereits bestens frequentiert. Felix Hertel reizt seinen matt-oliv-farbenen 560er Mercedes richtig aus. Selbst auf nasser Fahrbahn qualmen die Reifen. „Das neu optimierte Fahrgestell muss ich erst mal testen“, sagt der Hamburger Transformer-Fachmann und gibt wieder Gas. Einen Kilometer weiter müssen bei einer Gleichmäßigkeitsprüfung zwei Runden in gleicher, selbst zu bestimmender Zeit absolviert werden. Wir nehmen die Runden souverän mit 65 Stundenkilometern in stabiler Kurvenlage. Als uns eine VW Doppelkabine in der zweiten Runde die Sicht versperrt, setzen wir in einem kurzen Sprint zum Überholen an und fliegen pünktlich über die Lichtschranke.


Weiter geht die Fahrt durch Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Küste. Der Wüstenwind liegt sicher und fest auf der Straße, obwohl diese sich wellt wie ehemals das Tapetenmuster in meinem Jugendzimmer. Am Ortsrand von Jarmen angekommen, lauert in einem kleinen Privat-Museum die nächste Herausforderung: fünf Rallye-Aufkleber zu suchen, in einer zweihäusergroßen Ansammlung von DDR-Relikten der skurrilen Art. Schulhefte, Eierbecher, Kaffeemaschinen, Badehauben, Spinnweben und Gasmasken versperren die Sicht. In den authentischen Wohn- und Kinderzimmern schließlich werden viele Teilnehmer sogar fündig. Wir nicht.

Also versuchen wir uns, dem Gegenwind zum Trotz, der Küste zu nähern. Ungeachtet unseres flotten Fahrstils quälen sich immer wieder andere Teilnehmer mit schnelleren Autos und bunteren Brillen an uns vorbei. Andere scheinen zu schweben, wie ein Opel Diplomat, mit dem Baujahr 1966 der Älteste der Boliden. Abends an der Hotel-Bar im Ostseebad Zinnowitz werden die feinen Unterschiede aufgeklärt. „Mit 230 PS und 206 kmh Höchstgeschwindigkeit war er damals das schnellste deutsche Serienauto“, erklärt Fahrer Sebastian Schonauer vom Rallyepartner AvD. „Gegen den 85PS-Scirocco mit 172 kmh Höchstgeschwindigkeit kann er ja ganz gut mithalten“, erwidere ich selbstbewusst.

Nach einem kurzen Besuch am windgepeitschten Strand der Insel Usedom kehrt die Youngtimer-Polonaise der Küste den Rücken. Schon bald werden die Autos zur ersten Prüfung heraus gewunken. Die Warteschlange ist lang und ein Ford-Consul-Fahrer peppt mit Prosecco-Dosen aus seinem Kofferraum die Pausengespräche auf. Am Kontrollpunkt stellt ein Helfer einen Ghettoblaster ins Auto und spielt die Titelmelodien von Serien ab. Aus einigen Autos hört man Gesang, aus anderen Rufe wie „Bonanza!“ Nicht Singen, Titel-Raten und „Weiter“-Sagen ist gefragt, als wir an der Reihe sind.

Am Flughafen Berlin-Tempelhof angekommen, haben sich trotz herbstlichem Wetter und fehlendem Bierstand viele Schaulustige versammelt, um die Youngtimer zu begrüßen und Benzingespräche mit den Besitzern zu führen. Unser Scirocco ist auch hier wieder gern gesehen. „Schade, dass Sie schon wieder wegfahren“, sagt ein Betrachter mit Blick auf die Rücksitzbank. Das finden wir auch. Doch zum Glück war das nicht die letzte Creme und ist dies nicht der letzte Scirocco.


Tipp:

Das Buch zum Auto: Scirocco. ISBN-Nr. 978-3-935112-33-5



Text- und Bildrechte: Renate Freiling

Donnerstag, 4. September 2008

Sachsen Classic 2008


Unterwegs im Land der Autopioniere

Begegnungen auf der Sachsen Classic 2008

„Da kommt wieder einer!“ tönt es laut dem heran nahenden Renault 16 TL entgegen. „Schnell ducken!“ Was sich nach Versteckspiel anhört ist eher das Gegenteil. Rückenbeuge, Arme nach vorn, Oberkörper aufgerichtet – einer nach dem anderen - und lang die Hände in die Höhe gestreckt. La Ola - eine Welle vom Feinsten, die acht sächsische Dorfbewohner dem 33 Jahre alten Franzosen sportlich entgegenbringen. Die Oldtimer-Rallye „Sachsen Classic“ rollt übers Land und treibt das autofreundliche Völkchen auf die Straßen. Egal welcher Marke oder Herkunft, die 186 Oldies werden bejubelt, bestaunt und gefeiert im automobilhistorischen Pionierland.

Bewegende Momente der 6. Sachsen Classic sind nicht nur die Begegnungen mit der sympathischen Bevölkerung des schönen Bundeslandes, die mit ihren eigenen Oldtimern, Kindern und Grill-Ausrüstungen die 669 Kilometer idyllischster Landstraßen säumt. Die drei Tage dauernde Rallye, alljährlich veranstaltet vom Oldtimer-Magazin Motor Klassik in Zusammenarbeit mit Volkswagen, führt vorbei an den bedeutenden Orten der sächsischen Automobilgeschichte. Vom August Horch Museum in Zwickau über die ehemalige WM-Rennstrecke Sachsenring und durch das Skoda-Land Tschechien bis hin zur heutigen Produktionsstätte des VW Phaeton, der Gläsernen Manufaktur in Dresden.

Treffpunkt für Benzingespräche ist an den ersten beiden Tagen der Zwickauer Platz der Völkerfreundschaft. Der Name ist Programm. Einheimische Autofans und internationale Touristen tummeln sich vor dem Start zwischen den bunt glänzenden, vierrädrigen Stücken und fachsimpeln mit den Eigentümern. Wenn die Sprachkenntnisse nicht ausreichen, wird mit Händen und Füßen gearbeitet. Stolz hebt Jens Vogt, Besitzer eines giftgrünen Melkus RS 1000 GT, die hintere Hälfte seines Wagens an und präsentiert den 1-Liter-Reihendreizylinder-Motor mit 85 PS. „Das Auto ist trotz des Baujahres 1982 eigentlich funkelnagelneu“, erzählt Vogt, Inhaber eines Autohauses im gleichnamigen Vogtland. „Er wurde nur 15 Mal originalgetreu nachgebaut.“ Die Rennwagen-Manufaktur Melkus in Dresden baute vom damaligen „Zonen-Ferrari“ auf Wartburg-353-Basis 101 Stück von 1969 bis 1979. Gründer Heinz Melkus war nicht nur Fahrzeugbauer, sondern auch Rennfahreridol der DDR. „Mit dem Auto habe ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt“, freut sich Jens Vogt und erklärt die Details. „Die Rücklichter sind von einem Traktor ZT und die Türschlösser vom Trabant. Man konnte im Osten nur mit den Teilen bauen, die man hatte.“ Automobilbau und Fahrzeugentwicklung gingen trotz eingeschränkter Mittel voran. Denn die Motorsportbegeisterung der Sachsen ist nicht zu bremsen. Familienbetrieb Melkus arbeitet schon an einem Nachfolgemodell des seltenen Flügeltürers.

Die erste Etappe führt zum nahegelegenen Sachsenring. Als der erste Oldie eintrifft, wartet bereits fotografierfreudiges Publikum auf den Tribünen. Alle Rallyefahrzeuge, von der 1903 erbauten Oldsmobile-Kutsche über den Bauarbeiter-Bulli bis zum 1988er Trabant Cabrio, dürfen die 81 Jahre alte Rennstrecke bei Hohenstein-Ernstthal und Oberlungwitz ausprobieren. Schon im Jahre 1927 fanden hier Motorradrennen statt – allerdings mit anderem Streckenverlauf als dem jetzigen, der nur noch 3,7 Kilometer lang ist. Voller Elan steuert Bernd Rosemeyer, Sohn des gleichnamigen Rennsporthelden, einen Jaguar XK 120 C drei Runden lang um die je 14 Kurven. Rosemeyer senior bestritt ab 1934 als Werks- und Rennfahrer der Zwickauer Auto Union Grand-Prix-Rennen. Die schon 1932 zusammengeführten Unternehmen der Marken Audi, Horch, DKW und Wanderer entwickelten damals in einer neuen Rennsportabteilung den legendären Silberpfeil. „Nachdem mein Vater 1938 bei einer Weltrekordgeschwindigkeit von 440 Stundenkilometern verunglückte, fuhr ich als kleiner Junge mit seinem Lieblingsonkel schon einmal auf dem Nürburgring“, berichtet der Orthopäde nach der Zieleinfahrt. „Aber für stressige Zeitmessungen habe ich nicht allzu viel übrig, mir machen die Autos Spaß.“ Rosemeyer junior wurde erst vor fünf Jahren von Gerd-Rüdiger Lang, dem Inhaber der Uhrenmanufaktur Chronoswiss auf den Oldtimer-Geschmack gebracht. Seitdem fahren die beiden Rallyes, bei denen Rosemeyer öfters angesprochen wird. „Hier fuhr mein Bruder zu DDR-Zeiten Rallyes“, erzählt ihm ein Rennsportfan, der sich von Rosemeyer gerade ein Autogramm geben lässt. „Er war Ingenieur und Werksfahrer bei der VEB Sachsenring, ähnlich wie Ihr Vater“. Im ehemaligen Horch-Werk, der Geburtsstätte von Audi, begann man 1957 unter dem Namen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau mit der Serienproduktion des Trabant. Über drei Millionen des kleinen "Weggefährten" wurden bis 1991 gebaut. Die Rennpappe ist auf der Sachsen Classic mit einem offenen Prototypen vertreten, der baujahrbedingt mit der letzten Startnummer das Schlusslicht der Oldtimer-Kette darstellt.

Nach kurzem Bettenstopp in Bad Schandau macht sich am Samstag der erste Starter bereits um 8:01 h auf den Weg nach Tschechien und Polen. Im Nationalpark Böhmische Schweiz kommt die Reihenfolge wild durcheinander. Die abenteuerliche Fahrt durch enge Schluchten und über schmale Wege geht nur langsam voran. Nicht nur, weil der Märchenwald einlädt, aus dem Fenster zu spähen. Manch ältere Modelle schaffen die Steigungen nur mit schleppender Unterstützung. Hektik gar bricht aus, nachdem ein Bus auf einer einspurigen Straße einem 72er Chrysler Imperial begegnet, der etwa gleich breit ist. Endlich geht es nach langem Rangieren zügig weiter. Flugs durch Tschechien, wo besonders für den vielfachen Rallye-Meister Matthias Kahle im Skoda 1100 Coupé applaudiert wird, zurück nach Deutschland und dann ein kurzer Ansturm auf den polnischen Zigarettenmarkt. Schnell wieder das Land verlassend eilt das rollende Museum weiter.

So, wie sich die Zuschauer in Gruppen am Straßenrand scharen, bilden sich auch unter den Oldtimern ganze Rudel, bei denen oft der Langsamste vorn ist. Im letzten Trupp hat man’s besonders eilig und der Hintermann drängelt. In einer aufgewirbelten Staubglocke kommt der Renault im voll besetzten „Autokino“ einer Rechtskurve zum Stehen. Der dicht nachfolgende giftgrüne Flitzer zischt vorbei. Langsam taucht aus der sich auflösenden Wolke ein Mensch mit Fotoapparat auf. „Ich warte schon den ganzen Tag auf den Melkus“, schimpft er. „Jetzt haben Sie mir das Foto vermasselt.“ Die anderen etwa 20 Zuschauer können sich vor Lachen kaum auf den Campingstühlen halten. „Dann fotografierst Du halt den nächsten“, ruft einer aus der Menge und hebt automatisch seine Arme, die das Grußbanner hochhalten, als ein echter Ferrari vorbeifährt. So sind die Leute im Autoland Sachsen, sportlich und stets gut gelaunt.

Bei der Siegerehrung in der Gläsernen Manufaktur in Dresden standen Matthias Kahle und Peter Göbel vom Skoda-Team auf dem dritten Platz, das flotte Trabi-Cabrio landete auf Platz 12. Der Melkus hatte zwar Probleme mit dem Regler, kam aber trotz Behinderung immerhin auf Platz 77. Der Renault 16 besetzte den 93. Platz, Rennfahrer-Sohn Rosemeyer schließlich traf den 100. Sieger war der Italiener Luciano Viaro mit seiner blinden Beifahrerin Alessandra Inverardi mit einem Lancia Stratos aus dem Jahr 1974.

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Sonntag, 20. Juli 2008

"2000km durch Deutschland"



Unterwegs mit dem Bauarbeiter-Bulli

Der Tacho zeigt 100 Stundenkilometer an, die Felder und Wiesen rasen vorbei. Über uns berühren sich wedelnd die Äste der großen, alten Platanen, die sich zu beiden Seiten der Allee erheben. Wir befinden uns in einer VW T1 Doppelkabine und sind Teilnehmer der größten Oldtimerrallye Deutschlands, der "2000 km durch Deutschland". Oldtimer zu fahren ist gewöhnungsbedürtig - und anstrengend. Keine Servolenkungen, keine Bremskraftverstärker, von Sicherheitsgurten und Kopfstützen ganz zu schweigen. So nehmen wird erst einmal eine kurze Gebrauchsanweisung der Betreuer von VW Nutzfahrzeuge an.

Der Fahrer tritt die Pedale von oben nach unten durch und dreht und schiebt das Lenkrad wie einen großen Suppentopf auf dem Herd herum. Der Rückwärtsgang befindet sich unten hinten links. So eingenordet können wir mit unserem Nutzfahrzeug zur großen Tour antreten. Im unmittelbaren Starterumfeld befinden sich eine gelbe T2 Doppelkabine des Jahres 1972, ein Nachfolger unseres Modells und ebenfalls typischer Bauarbeiterbus, sowie ein B-Kadett Cabriolet mit Elvis auf dem Beifahrersitz. „Die schlagen wir mit links“, meint der rallyeerfahrene Co-Pilot. Immerhin gilt es nicht, als erster im Ziel zu sein, sondern in einer Gleichmäßigkeitsfahrt nach vorgegebener Strecke und Straßenverkehrsordnung an den Etappenzielen zu sein. Das dürfte selbst für einen ungelenk scheinenden Bulli kein Problem sein.

Als die Doppelkabine vor 50 Jahren auf den Markt kam, war dies in der ersten Generation der VW-Transporter ein durchschlagender Erfolg. Die Firma Binz, heute durch den Bau von Krankenwagen bekannt, entwickelte 1953 die erste T1 Doppelkabine. Erst 1958 rollte die noch leicht veränderte Version offiziell vom Band des Volkswagenwerks. Das von Insidern auch kurz Doka genannte Arbeitstier wird seit nunmehr 50 Jahren in Serie gefertigt. Mittlerweile gehören die Doppelkabinen der ersten zwei Transporter-Generationen längst zum Bulli-Kult. Unsere Doka ist eine Version aus dem Jahre 1959 mit einem 1,5l- und 42 PS-Motor. Die etwa 200 kg leichtere Karosse bietet trotz kleinerem Motor im Vergleich zu unseren Mitstreitern im T2 deutlich bessere Beschleunigung. Trotzdem lassen sich die Konkurrenten nicht abhängen und treten kräftig aufs Gas.

Die bei Italienern als „deutsche Mille Miglia“ gerühmte und dementsprechend flotte Rallye wird zum 20. Mal - seit dem Start der Neuauflage in 1989 - von betagten Renn-, Rallye- und Sportklassikern bestritten, die im gesamten deutschen Raum punkten wollen. Die „2000 km durch Deutschland“ wurde vor 75 Jahren als Ohne-Halt-Fahrt zum ersten Mal, 1934 zum zweiten, durchgeführt. Im 75. Jubiläumsjahr lockt bereits der Auftakt in Düsseldorf 3000 Oldtimerfreunde an. Dazu herrscht Volksfeststimmung, wenn die ca. 100 Teilnehmer zur einwöchigen Blitzreise durch Deutschlands südlichere Hälfte aufbrechen. An den folgenden Tagen erstürmt das Feld Rheinland-Pfalz, den Schwarzwald, Bayern, Sachsen, Brandenburg und endet im niedersächsischen Hannover. Die Bevölkerung platziert sich in der Stadt und auf dem Land dankbar an den Straßen, um dem Spektakel – zumindest mit den Augen – zu folgen. Neben seltenen automobilen Pretiosen reihen sich auch ehemalige Brot- und Butterautos wie Opel B-Kadett, BMW 2002 und VW Käfer in die Starterliste ein. Und nun kommt noch eine neue Dimension des Fahrspaßes hinzu: das Rallye-Fahren mit zweckentfremdeten Nutzfahrzeugen. Bei den Ortsdurchfahrten über die Marktplätze von Bad Liebenwerda, Luckenwalde, Mittenwalde und Zossen empfangen uns die Bewohner mit großem Applaus. Und das nicht nur, weil Elvis vor uns ausgestiegen ist, um mit seiner Gitarre ein Ständchen zu bringen. Die Bullis sind eine Attraktion. Zwischen Exoten wie einem Jensen C V8 MKIII, einem Sunbeam Alpine und dem letzten Mercedes-Dienstwagen vom Erfinder des Setra bringen die historischen Pick Ups die Zuschauer zum Schmunzeln und Klatschen. „Wo wollt Ihr denn hin, Rohrbruch reparieren?“, fragt einer der Zossener Zuschauer lachend und klopft auf die Pritsche. „Ja genau, wir müssen uns beeilen, sonst gibt’s hier noch `ne Überschwemmung“, antwortet mein Beisitzer und gibt mir ein Zeichen zum Durchstarten. Der Bulli läuft wie geschmiert, liegt fest auf der Straße und gibt mir das Gefühl der Sicherheit. Die langen Alleen Brandenburgs scheinen endlos und verleiten zum Schnellfahren. Elvis und die gelbe Gefahr T2 sind weit zurück geblieben, die Tachonadel ist kurz vorm Anschlag. Nur noch etwa 80 Kilometer bis zum Ziel des vorletzten Rallyetages. Das schafft der Bulli spielend. Und für alle Fälle ist ein Servicefahrzeug mit Ersatzteilen dabei. Die Rallyetauglichkeit der historischen Transporter wird von VW Nutzfahrzeuge seit Anfang dieses Jahres erprobt. Diese Einsätze sollen den Bulli-Kult weiterleben lassen. Die Resonanz des Publikums am Straßenrand zeigt, dass das funktioniert. Auch wir Insassen erleben die Fahrt mit einem kultigen Gefühl. Doch nicht das der Bauarbeiter auf dem Weg zum Rohrbruch. Eher das, was die Hippies damals lebten – ein Gefühl der Freiheit. Die herrlichen Landschaften Deutschlands, durch die wir kommen, tun ihr Übriges dazu.

copyrightRenateFreiling2008

Hüter des verlorenen Schatzes


Gralswächter im Park-Verbot

veröffentlicht in der Welt am Sonntag am 15. Juni 2008

Ein Schweizer Autofriedhof mit historischen Raritäten soll nach 75 Jahren geräumt werden. Dabei hat er das Potential, ein Museum zu werden.

Vogelgezwitscher durchdringt die Waldesruhe. Über kreuz und quer wachsende Wurzeln führt der Pfad hinauf auf einen Holzsteg. Vorbei an Bäumen, die aus Kofferräumen wachsen und Farnen, die bemooste Kotflügel hinter sich verbergen. Das Zirpen wird lauter nahe der großen, düsteren Halle. Ein Zugrattern ertönt. Es verhallt wieder, wird gefolgt von einem Motorengeräusch. Doch die unzähligen Autos rundherum fahren nicht mehr, sind mucksmäuschenstill. Hunderte sind es, die hier auf dem 75 Jahre alten Autofriedhof im schweizerischen Kaufdorf ihre letzten Ruheort gefunden haben. Die Geräusche sind die Klanginstallation des Künstlers Herbert Distel. Er ist einer der 23 Künstler, die sich um den Kurator Heinrich Gartentor geschart haben, um in der Nationalen Kunstausstellung den inspirierenden Ort zu bespielen – und damit zu retten.

Grabesstille

Schon seit 1975 regt sich auf dem historischen Teil des Geländes von Messerli’s Autofriedhof außer in Flora und Fauna nichts mehr. Damals wurden die Hallen gebaut und die Parzelle offiziell im Grundbuch als „Autoabbruch“ eingetragen. Dann beließ Franz Messerli die etwa 500 Autos umfassende Sammlung seines Vaters Walter wie sie war, gönnte den Wracks ihre wohlverdiente Ruhe. Doch nun, nachdem Natur und Technik auf dem märchenparkähnlichen Gelände eine harmonische Einheit geworden sind, haben die Schweizer Gerichte ein radikales Ende der Idylle verkündet. Im April 2009 soll das Gelände geräumt und vom Schrott befreit sein. Umwelt- und Grundwasserschutz seien die Begründung, berichtet Franz Messerli, doch nachgewiesen sei eine Verunreinigung des Grundwassers nicht. Messerli führt Besuchergruppen in Rundgängen über das Gelände. „Das hier ist ein Lancia mit Worblaufen-Karosserie von Ramseier, der dem Chef der Berner Sittenpolizei gehörte“. Stolz, aber auch melancholisch, betrachtet er das seltene Stück, dessen bemoostes Verdeckgestänge gleich wirrer Antennen in die Luft ragt. Zu vielen Exemplaren gibt es persönliche Geschichten, die der „Gralswächter“ gerne erzählt. Da fällt es schwer, einer Exhumierung zusehen zu müssen. „Leute kommen und bieten mir 20000 Franken für ein Wrack,“ schmunzelt der freundliche Endfünfziger. „Mit der Bergung würde man rundherum alles zerstören, das will ich nicht.“ Franz Messerli wünscht sich die Ruhe zurück, die hier einmal herrschte.

Kunstpark

Doch die scheint endgültig vorbei. Der Gerichtsbeschluss hat die Gemüter erregt. Eine Lobby hat sich seit dem Jahre 2006 gebildet, die den Friedhof retten möchte. Der Förderverein „Historischer Autofriedhof Gürbetal“ existiert seit Februar 2008, dessen Gönnermitglieder engagieren sich für den Erhalt der Stätte. Daneben begann Heinrich Gartentor, Gewinner des diesjährigen Kunstpreises der Stadt Bern, im Oktober 2007 an der Realisierung einer Nationalen Kunstausstellung zu arbeiten. Das gemeinsame Ziel lautet: Gründung eines Freilichtmuseums mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Am 1. Juni 2008, dem 75. Geburtstag des Messerli’schen Autoabbruchs, war es soweit. Der eigens für die Ausstellung gegründete Kunstverein Gürbetal eröffnete das bis zum 12. Oktober dauernde Spektakel. Heinrich Gartentor kennt sich in dem neu geschaffenen Kunstpark aus, ist es doch „sein“ Projekt. Die Autowracks sind Kunst, Kult und Kulisse. Bunte Spielsachen und Kameras auf eingedellten Autodächern, Mauern auf Autowracks und ein 66 Meter langer, sich durch und über Autos schlängelnder Schlauch sind nur einige der Installationen, die sich um das Thema „Auto“ in unterschiedlichsten kreativen Facetten ranken. „Da vorn hängen beispielsweise diese drei Nistkästen an den Bäumen,“ erklärt Heinrich. Gezwitscher tönt heraus. Doch dann mutiert es zu einem donnernden Motorenlärm. „blue Thunderbird“ heißt die Installation von Dominik Stauch, einem in Berlin und Thun schaffenden Künstler. Ein Stück weiter, auf einem anderen Teil des Friedhofs, zeigt Heinrich auf eine zertrümmerte Windschutzscheibe, eindeutig keine Kunst. „Mit diesem Thunderbird wurde ein Radfahrer überfahren“, weiß er zu berichten. „Der Radfahrer überlebte, aber der Besitzer des Autos wollte seinen Wagen nicht mehr haben.“

Mystik

Heinrich war als Kind mit seinem Onkel in der ganzen Region auf Schrottplätzen unterwegs, um stets irgendwelche Teile zu suchen. „Daher kenne ich auch diesen Platz. Als ich im September letztes Jahr nach langer Zeit wieder hierher kam, brachte mich der Ort sofort auf die Idee, hier die letztmals 1961 ausgerichtete Nationale Kunstausstellung wieder ins Leben zu rufen.“ Eine mystische Ausstrahlung hat der Park auch auf Nicht-Künstler. Im diffusen Licht, das durch die Tannenzweige dringt, leuchten die Grüntöne von Moos, Laub und Farnen in allen Nuancen. Vereinzelte Sonnenstrahlen fallen auf silbrig schimmernde Spinneweben, und chromblitzende Kühler ragen hervor, als ob sie dort gewachsen wären. Es riecht erdig, nach Wald, zeitweise weht Blütenduft von der Lichtung herüber. Die Atmosphäre ist still und doch geladen - mit Geschichten, Emotionen und mit Pietät. Die stillen Winkel mit den Zeugen längst vergangener Tage wecken Fantasie. Wie Gesichter schauen die Schnauzen der Alten aus dem Wald heraus. Sie tragen würdevoll ihre Namen auf den Kühlern. Englische Raritäten liegen unauffällig zwischen amerikanischen Schlitten und italienischen Sportwagen. Die Schweizer Automobilgeschichte spiegelt einen Querschnitt von Importen aus aller Welt wider. Walter Messerli wollte dieses Bild festhalten, so scheint es.

Kulturgut

Bereits im Jahre 1933 begann er, Autos auszuschlachten und umzubauen. Was übrig blieb, landete auf dem Gelände. Messerli sammelte weiter. Der Ersatzteilverkauf war eine gute Einnahmequelle. Doch nicht alles, was brauchbar war, wurde gleich ausgebaut. So ragen denn aus den gut sortierten Wagenreihen noch chromglänzende Außenspiegel hervor, sind noch intakte Scheiben und Scheinwerfer zu finden. Franz’ erste Pläne nach seiner Übernahme 1975, aus dem vom Vater angelegten Autopark ein Freilichtmuseum zu machen, scheiterten. Der umtriebige Alltag verdrängte das Projekt und so liegen sie noch heute da: einzelne Autos aus den 1930er-Jahren, die Mehrzahl aus den 40ern, 50ern und 60ern und noch einige aus den 70ern. Seltene, ausgestorbene Arten wie Wolseley, Hillman und Panhard. Dazu gesellen sich lebende Arten aus Flora und Fauna. „Eine Schmetterlingsart, die eigentlich sonst nur im Tessin zu finden ist, treibt sich hier herum“, erzählt Messerli. „Und dieser Strauch ist eine von sechs Sorten Brombeersorten, die wir hier haben, insgesamt gibt es acht in der Schweiz“. Gartentor fügt hinzu: “Nicht zu vergessen die Schwarzpappeln, in der Schweiz sind sie extrem selten, auch in Deutschland gibt es nur noch etwa 3000 Exemplare, die Behörden haben bisher nicht einmal ein Inventar der Flora und Fauna erstellen lassen.“ Nicht nur automobiles Kulturgut, sondern auch ein Naturpark also, den es zu retten gilt. Der Anteilnahme der Öffentlichkeit können sich Franz Messerli und Heinrich Gartentor gewiss sein. Doch ob die nötige politische Unterstützung für ein Bleiberecht der schrottigen Gefährten zu generieren ist, bleibt fraglich. „Wenn wir ihn nicht retten können, wäre mir am liebsten, wenn ein reicher Russe käme, cash bezahlt und das Gelände, so wie es ist, mitnimmt“, sagt Messerli wehmütig. „Und es dann zum Beispiel in Sibirien als Freizeitpark für Oldie-Liebhaber eins zu eins wieder aufbaut.“ Doch soweit ist es noch lange nicht. Am nächsten Morgen wird der Gralswächter die Pforten für Kunstinteressierte und Autoliebhaber erwartungsvoll wieder öffnen. Wenn der Friedhof mit Vogelgezwitscher und Bahnrattern zum neuen, alltäglichen Museumsleben erwacht.


Informationen:

Nationale Kunstausstellung, Eintritt 8 €

31. Mai – 12. Oktober 2008, Mi. – So. 11 – 19Uhr, Autoabbruch Franz Messerli, Moosstraße, Kaufdorf im Berner Oberland. S-Bahn Linie 3 zwischen Bern und Thun.

www.autofriedhof.ch

copyrightRenate Freiling2008

Männer, die daneben sitzen


Männer, die daneben sitzen

Bei der Jungfrau-Rallye in der Schweiz dürfen nur Frauen ans Steuer. Dort stellt sich heraus, ob Männer gute Co-Piloten sind – und ob die Beziehung rallyetauglich ist.

veröffentlicht in der Berliner Morgenpost am 28. Juni 2008 und auf WELT online am 2. Juli 2008

„Acht, sieben, sechs, – schneller, schneller!“ Es geht steil die schmale Straße hinauf, das Bergmassiv der über 4100 Meter hohen Jungfrau im Hintergrund. Susanne tritt gemächlich auf das Gaspedal, Ulrich schreit gegen den Motor an und fuchtelt mit den Armen. „Nicht so langsam, Susanne!“ Oben angekommen rollt der Mercedes 190 SL ruhig durch die Lichtschranke und stoppt beim Streckenposten. „Exakt 8 Sekunden für 50 Meter, wie vorgegeben, super“, sagt dieser und trägt die Zahl in seine Unterlagen für die Wertung ein. Ein kurzes „siehst Du!“ von Susanne, und Ulrich sagt kleinlaut den nächsten Abzweig „nach 800 Metern rechts“ an. Einer der harmloseren Dialoge, die bei der Schweizer Jungfrau-Rallye am letzten Wochenende zu hören waren. Denn dort hatten die Frauen das Steuer fest in der Hand, Männer wurden auf die Beifahrersitze verbannt.

4158 Höhenmeter hat die Jungfrau, die sich im Hintergrund in den strahlend blauen Himmel erhebt, ein paar mehr an Kubikzentimetern hat der Jaguar E-Type, der sich vor der Rugen-Brauerei bei Interlaken in die Starterreihe stellt. Einparken darf noch der Mann, doch nach dem Start müssen sich Frauen als Rallye-Fahrer und Männer als multitaskingfähige Co-Piloten bewähren. An zwei Tagen kundschaften etwa 80 Teams mit ihren frisch polierten Karossen der Baujahre 1930 bis 1979 die sommerliche Berg- und Hügellandschaft des Berner Oberlandes aus. Etwa zwei Drittel der Blechbüchsenbande sind mit männlichen Co-Piloten besetzt. Darunter Profis, Stammgäste und Anfänger, die das Grundwissen der Rallyewelt erfahren wollen. Über rund 240 Kilometer Nebenstraßen führen die Routen, die auf 10 Meter genau ausgemessen und in einem Bordbuch für die Navigation dokumentiert sind. Unterbrochen werden die einzelnen Etappen von Zeitmessungen sowie Geschicklichkeits- und Spaßprüfungen, die nicht nur für Unterhaltung, sondern auch für Beziehungskrisen sorgen können.

Susanne und Ulrich fahren zum zweiten Mal bei der Jungfrau-Rallye mit. „Letztes Jahr waren wir besser“, erzählt Susanne enttäuscht. „Er guckt immer in der Gegend herum und will alles im Griff haben, statt sich auf seine Beifahrertätigkeiten zu konzentrieren.“ Doch zu ernsthaften Problemen führt das nicht. Die beiden sehen die Tage eher als Urlaub mit spielerischer Auseinandersetzung an. „Die Rallye-Leitung versucht, die Navigatorinnen und Navigatoren ein wenig unter Stress zu setzen und zu Fehlern zu verleiten“, sagt Veranstalter Markus Rühle beim Mittagessen in Grindelwald und schmunzelt. „Sonst wäre das eine langweilige Veranstaltung“. Kleine Kabbeleien zur Auflockerung also?

Am Nachmittag bietet sich auf dem großen Parkplatz der „Männlichen-Bahn“ vor der sonnenbeschienenen Eiger-Nordwand Gelegenheit zur Beobachtung. Wie auf einem großen Spielplatz steht nun ein Parcours mit vier Stationen bevor. Ruedi, ein freiwilliger Helfer, der schon fast alle mit Vornamen kennt, weist das Teilnehmerfeld in Reihen zur Aufstellung ein. Wartezeit gibt’s nun genug, um auszusteigen und die Konkurrenten ausgiebig zu beäugen. Ein junger Mann mit eintätowiertem Ferrari-Hengst über dem Knöchel späht genau aus, wo was zu tun ist; ein anderer schiebt lässig telefonierend den Wagen voran; ein weiterer gibt seiner Freundin einen Klaps auf den Po. Kurzum – ein harmonisches Bild. Doch an den einzelnen Spielfeldern sieht das schon wieder anders aus. Mit möglichst geringem Abstand zwischen zwei Stangen durch zu fahren ist die leichteste Übung. Gleich dahinter werden Männer als Einparkhilfen auf die Probe gestellt, was einige Fahrerinnen auf die Palme bringt. Exakt mit einem Meter Abstand zum Hindernis muss der Wagen zum Stehen kommen, nur ein Versuch ist möglich. Der Beifahrer eines Jaguar E-Type steht mit den Knien auf dem Sitz und gestikuliert wild umher, anstatt den Abstand anzusagen. Zu einigen Schrauben die passenden Muttern finden kann er schon besser, allerdings macht ihn der Zeitdruck sichtlich nervös. Doch der Gleichmäßigkeitsslalom erfordert einige Simultankapazitäten. Das Ziel orten, mit dem ausgestreckten Finger den Weg weisen, die Stoppuhr bedienen und runterzählen. Da wünschen sich einige Herren, am Steuer zu sitzen. „Einmal im Jahr macht das Spaß, und meine Frau fährt wirklich gut“, meint Hans-Peter Blandow. Eine weitere, sportliche Oldtimerrallye, die Ennstal Classic, wird er mit seinem Rallyefahrzeug NSU Prinz nebst seiner Frau Verena in diesem Sommer selbst fahren. Stress gibt es bei dem eingespielten Profiteam so gut wie nie. Allerdings bei anderen. So scheiden sich einige Stunden später die Geschlechter, als nach einem Navigationsfehler das Wendemanöver ansteht. „Noch einmal sowas, und dann fährst Du!“ lautet die klare Drohung der Fahrerin eines Zweisitzer-Cabriolets. Mit dem Fahrerwechsel wäre für den Herrn das Problem wahrscheinlich gelöst, für das Paar die Fahrt jedoch zu Ende, denn ein Mann am Steuer hat die Disqualifizierung zur Folge. Die Hälften des Paares wurden abends böse dreinschauend an weit voneinander entfernten Tischen gesehen.

Der zweite Rallyetag beginnt früh und sonnig. Ohne, dass vom Vortag Ausfälle – welcher Art auch immer – zu verzeichnen sind, stehen die Autos inklusive gut gelaunter Insassen aufgereiht vor dem noblen Grand Hotel Victoria-Jungfrau und warten auf den Start. Touristen aus aller Herren Länder, holländische Fußballfans und Oldtimerfreunde schreiten die Promenade ab. „Fahren hier wirklich nur Frauen mit?“ fragt ein Passant. „Die zicken sich doch sicher nur an!“ Und schon ist die Debatte entfacht. „Vielleicht ist es eine geschlechterspezifische Angelegenheit“, mutmaßt Zaungast Fredi Daumüller, Direktor des imposanten Hotels und Oldtimerliebhaber. „Wenn man die gleiche Augenhöhe bei Themen wie Technik oder Design hat, erleichtert das die Kommunikation.“ Damenteams funktionieren also möglicherweise besser als gemischte. Tina Gorschlüter, Fahrerin eines zu gewinnenden Triumph TR6 der Oldtimerspendenaktion der ‚Lebenshilfe Gießen’, kann die Theorie nicht bestätigen. „Ich glaube, dass Männer besser lotsen können“, meint sie. Sie sollte es wissen, fährt sie doch seit über 20 Jahren bei Oldtimerausfahrten und -Rallyes mit, und seit fünf Jahren die wertvollen Losgewinne aus. Mit stets wechselnden Beifahrern. Vom Ehemann über Arbeitskollegen bis hin zu wildfremden Journalisten hat sie schon viele Navigtoren ausprobiert. „Wichtig ist, dass ich mich durch verbissenen Ehrgeiz und Beifahrerfehler nicht aus der Ruhe bringen lasse, dann färbt das auch positiv auf die Gesamtstimmung ab.“ Und bei Ruedi’s „drei, zwei, eins, gute Fahrt!“ startet sie durch zur letzten Tagesetappe.

Ins Ziel kommen tatsächlich alle mit strahlenden Gesichtern, intakten Beziehungen und manche mit Kühlwasser verlierenden Autos. Die ersten drei Plätze belegen Teams mit männlichen Co-Piloten.

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Dienstag, 27. Mai 2008

ADAC Bavaria Historic 2008

Getrunken wird nach Feierabend - Bierlaster und andere Nutzfahrzeuge auf der Bavaria Historic 2008

Von Alkohol hinterm Steuer wird ja eigentlich abgeraten. Doch auf der dreitägigen Oldtimer-Rallye „ADAC Bavaria Historic“ am letzten Wochenende war genau das die Sensation. Der VW-T2-Pritschenwagen mit einer Ladung Bierfässer hinter der Fahrerkabine wurde vom Publikum am Streckenrand bejubelt, beklatscht und angelacht. Und war sogar bis zum Schluss noch gut im Rennen.

Die Rundumsicht ist perfekt, keine dicken Säulen, die stören, und wir sitzen hoch oben auf der Bank wie auf einem Kutschbock. In der „T2 Pritsche“ ist Platz für drei Bierkutscher, für die Rallye jedoch reichen zwei. Bestens vorbereitet und organisiert breiten wir die nötigen Utensilien auf dem mittleren Sitz aus. Die Stoppuhren auf die nächsten Sollzeiten eingestellt, das Roadbook, das die Straßenführung wie ein analoges Navigationssystem vorgibt, auf der Startseite aufgeschlagen, Bordkarten und Getränke zurechtgelegt und den Kugelschreiber hinterm Ohr. Nach kurzer Einweisung eines Profi-Betreuers aus dem Oldtimerstall des Unternehmens VW Nutzfahrzeuge und etwas Übung wissen wir wieder wie’s geht, einen Transporter zu steuern. Der Fahrer tritt die Pedale von oben nach unten durch und dreht und schiebt das Lenkrad wie einen großen Suppentopf auf dem Herd herum. So eingenordet können wir mit unserem Nutzfahrzeug an den Start gehen. Im unmittelbaren Starterumfeld befinden sich eine T1 Doppelkabine des Jahres 1964, ein Vorläufer unseres Modells und typischer Bauarbeiterbus, sowie eine „Rennsemmel“ BMW 600.

„Die müssten eigentlich zu schlagen sein“, meint der rallyeerfahrene T2-Pilot. Immerhin gilt es nicht, als erster im Ziel zu sein, sondern in einer Gleichmäßigkeitsfahrt nach vorgegebener Strecke und Geschwindigkeit an den Etappenzielen Punktlandungen hinzulegen. Das dürfte selbst für einen ungelenk scheinenden Bulli kein Problem sein.

Als der VW Bus T2 vor 40 Jahren als zweite Generation des VW-Transporters auf den Markt kam, waren im Vergleich zum Vorgänger weitreichende Verbesserungen eingeflossen: die größere, nicht mehr geteilte Scheibe, eine Schiebetür und ein stärkerer Motor, um nur einige der Modernisierungsmaßnahmen zu nennen. Beinahe jährlich flossen Neuerungen ein, wurden Details noch optimiert. Unsere Bierpritsche ist eine Version aus dem Jahre 1971 mit einem 1,6l- und 50 PS-Motor. Die stabilisierende Doppelgelenk-Pendelachse hinten und die verbesserte Federung vorn bieten im Vergleich zu unseren Mitstreitern im T1 deutlich bessere Fahreigenschaften. Trotzdem lassen sich die Arbeiter in der Doppelkabine nicht abhängen und treten gerade in den Kurven kräftig aufs Gas. An den bayrischen Hügeln, die erklommen werden wollen, verzweifeln wir zunächst schier, die Leistung des Heckmotors schiebt die 1190 kg nur schwer hinauf. Bergab kommen wir immer wieder in Schwung und holen auf. Zum Glück, denn hier zählt jede Zehntel-Sekunde und die Zeitvorgaben sind hart.

Die als „Mille Miglia von Bayern“ gerühmte und dementsprechend flotte Rallye wird seit 20 Jahren von betagten Renn-, Rallye- und Sportklassikern bestritten, die im bayrischen Alpenvorland rund um Bad Aibling punkten wollen. Die rustikale Veranstaltung für Oldtimerfreunde lockt bereits zum jährlichen Auftakt an Fronleichnam 3000 Oldtimerbesitzer an, die ihr Fahrzeug bewundert sehen möchten. Dazu herrscht Volksfeststimmung am Schloß und Brauerei Maxlrain, wenn die ca. 150 Teilnehmer zur Mangfall-Etappe aufbrechen. An den folgenden zwei Tagen erstürmt das Feld die östlichen Voralpen mit sportlichem Höhepunkt auf dem Salzburgring. Die bayrische Bevölkerung platziert sich in der Stadt und auf dem Land dankbar an den Straßen, um dem Spektakel – zumindest mit den Augen – zu folgen. Neben seltenen automobilen Pretiosen reihen sich auch ehemalige Allerweltsautos wie Opel B-Kadett, BMW 2002 und VW Käfer in die Starterliste ein. Und nun kommt noch eine neue Dimension des Fahrspaßes hinzu: das Rallye-Fahren mit zweckentfremdeten Nutzfahrzeugen. Bei den Ortsdurchfahrten über die Marktplätze von Wasserburg, Kraiburg am Inn und Altötting sind die Bullis eine Attraktion. Zwischen Exoten wie einem Lotus Seven S4, einem Mercedes 190 SLR und dem Lancia Stratos mit dem Mille Miglia Sieger Viaro am Steuer bringen die historischen Pick Ups die Zuschauer zum Schmunzeln und Klatschen. „Das ist Geschichte zum Anfassen“, bemerkt einer der Zuschauer lachend und klopft auf eines der Fässer, „die anderen Autos darf man nur bewundern.“ Das ist das Stichwort. Wir bewundern, wieder aus dem Ort heraus, das Heck der Rennsemmel, die uns überholt hat, und versuchen, dran zu bleiben. Doch schon hinter der nächsten Kurve lauert eine Stoppschild-Kreuzung. Der Kutscher tritt auf das Bremspedal, doch nichts tut sich. Er schaut noch mal in den Fußraum, das richtige Pedal war es doch, oder? Nach mehrmaligem Pumpen kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Das Ende der Etappe ist in drei Kilometern erreicht und wir überfahren gerade noch rechtzeitig, aber langsam, die Ziellinie.

Die Rallyetauglichkeit der historischen Transporter wird von VW Nutzfahrzeuge erst seit kurzem erprobt. Ein Haupteinsatzgebiet für die Oldtimer-Flotte sind die zahlreichen Rallyes, die den Bulli-Kult weiterleben lassen sollen. „Wir haben eigens ein bereichsübergreifendes Heritage-Team gegründet, das sich um unsere Traditionspflege kümmern wird“, erläutert Harald Schomburg, Vorstand für Vertrieb und Marketing bei Volkswagen Nutzfahrzeuge. Diese Bulli-Profis sind nun gefragt. Schnell sind sie vor Ort, haben Ersatzteile parat und reparieren flugs alles, was nötig ist. Da muss das Feierabend-Bier halt noch etwas warten.

Am nächsten Tag geht die Kutsche mitsamt der Ladung bereits wieder auf wilde Fahrt. Die Bremsen wurden entlüftet, ein herausgefallener Außenspiegel montiert und die Scheiben geputzt.

Munter navigieren wir durch Bayern und plaudern auf der fahrenden Bierbank, „Ratschen“ heißt das in Bayern. Doch für lockeren Austausch von Anekdoten ist dies die falsche Veranstaltung. Eine Sekunde nicht aufgepasst und am Abzweig vorbei gefahren, kann viel Zeit und damit Tausende Strafsekunden kosten. Und so passiert es denn auch. Geratscht, Vollbremsung und ein Beinahe-Purzelbaum quer durch die gute Stube. Die Bierfässer hinter mir sind glücklicherweise bombenfest vertaut. Hinüber ist nun die professionelle Beifahrer-Ordnung und damit auch gleich die Orientierung, denn die Seite des Lotsenbuches ist verschlagen, die Stoppuhren verstellt. Dennoch – der Bulli wendet, fährt weiter und nimmt die richtige Fährte wieder auf. Aus der Wertung ist der noch lange nicht.

Am Ende der Veranstaltung sind wir die Nummer 138 von 141 gewerteten Fahrzeugen.

Steckbrief VW T2

Motor: Vierzylinder Boxer (Heck)

Hubraum in ccm: 1584, 1679, 1795, 1970

Leistung in PS bei U/min: 47 bei 4000 bis 70 bei 4200

Höchstgeschwindigkeit: 100 bis 130 km/h

Produktionszahl von 1967 bis 1979: 3 000 000

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Montag, 31. März 2008

Techno Classica

Veröffentlicht auf WELT ONLINE am 28. März 2008

Autos für’s Ansehen

Was Prada, Escada oder Dior für die Modewelt darstellen, sind Bentley, Mercedes oder Ferrari im Universum der Automobile. Das Ansehen einer Marke macht das Produkt zum Statussymbol - auch bei alten Autos. Das ist den Entscheidern der Automobilindustrie durchaus bewusst, und so zeigt man auch in der Oldtimer-Szene gerne, was man hat. Auf der weltgrößten Klassiker-Messe Techno-Classica in Essen präsentieren sich manche Marken schon seit 20 Jahren, andere erst seit heute.

Da wird gefeilscht, gefachsimpelt und gelacht. In den Hallen der Messe Essen tummeln sich Tausende Oldtimer-Liebhaber aller Generationen. Edel betuchte Millionäre spazieren neben hemdsärmeligen Schraubern, griesgrämig dreinschauende Frauen laufen hinter strahlenden Alt-Rockern her. Am Stand des Hamburger Oldtimer-Händlers Thiesen ist das Angebot an Luxus-Oldtimern groß. „Das ist für mich das Highlight des Jahres“, sagt Peter Nagel, ein Sauerländer Sammler, der sich einen zum Verkauf stehenden Bentley ansieht. „Ich bin mit meinen anderen Oldtimern sehr zufrieden - und habe bereits mehr als genug davon. Doch einen Bentley Continental aus den 50ern hätte ich noch ganz gern.“ Die Techno-Classica ist DIE Messe der gesamten Young- und Oldtimerszene. Hier präsent zu sein gehört einfach zum guten Ton. Ob für die Automobilindustrie, die Clubs oder die Peripherie mit ihren Lifestyleprodukten, Dienstleistungen und Ersatzteilen.

So ist Bentley Motors zum ersten Mal in der 20jährigen Geschichte der mittlerweile weltgrößten Messe mit einem eigenen Markenstand dabei. Raritäten aus dem Motorsport, der Bentley Blower aus dem Jahr 1930 und der Le Mans Sieger 2003 Bentley Speed Eight, stehen neben den neuen Serienmodellen. Die edlen Materialien der Innenausstattung liegen zum Anfassen aus und die Verarbeitung wird von zwei Mulliner-Mitarbeitern aus der Bentley-Abteilung für Sonderbauten demonstriert. Standesgemäß zeigt sich die Crew ebenfalls todschick: Die Jungs am Bentley-Stand tragen beigefarbene Overalls im Retro-Look der Bentley-Boys, dazu blaue Krawatten mit weißen Punkten, ganz wie früher. Die englische Manufaktur aus der Kleinstadt Crewe hat eine fast 90 Jahre alte Tradition. Walter Owen Bentley, kurz W.O., begann 1919, einen Sportwagen mit einem 3-Liter-Vierzylinder-Motor, Aluminiumkolben, obenliegender Nockenwelle, Doppelzündung und 4 Ventilen pro Zylinder zu entwickeln. Eine damals revolutionäre Technik, mit der der 3-l-Bentley 1924 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann. Um W.O. scharte sich eine Gruppe von rennsportbegeisterten Gentlemen, die fortan unter dem Namen „Bentley-Boys“ bekannt wurden. Tim Birkin, Woolf Barnato, Dudley Benjafield oder Bernhard Rubin waren die wohl bekanntesten, die sich in den 20er Jahren waghalsige Gefechte gegen den Rivalen Mercedes lieferten.

Der seit zehn Jahren dem Volkswagen-Konzern angegliederte Hersteller feiner Luxuskarossen schlägt mit seinem Auftritt die Brücke von der Tradition zur Moderne. Denn die Markentreue von Oldtimer-Liebhabern zeigt auch für das Neuwagengeschäft gute Perspektiven auf. „Für uns ist die Oldtimerszene eine wichtige Präsentationsplattform, das Interesse der Öffentlichkeit an Bentley ist im letzten Jahrzehnt enorm gewachsen", erklärt Reiko Käske, PR- und Kommunikationsmanager von Bentley Motors Ltd. "Die reiche Markengeschichte stellt für Oldtimerbesitzer eine emotionale Verbindung zu einem neuen Bentley her, der mittlerweile auch als Wertanlage gesehen wird. Unsere Kunden identifizieren sich mit der Marke - und investieren."

Auch beim früheren Bentley-Rivalen Mercedes-Benz stehen legendäre Rennwagen und exklusive Prestigeautos auf der 4000m² großen Ausstellungsfläche. Die gesamte Baureihe der Mercedes SL bis heute, ein frühes Prestige-Auto aus dem Baujahr 1904: der Mercedes-Simplex, und ein Mercedes SS, rennsportlicher Zeitgenosse des Bentley-Blower. Dazu diverse Vorzeigeexemplare der 16 Mercedes-Clubs und eine Rohkarosse eines 600ers W 100.

Das Traditionsbewusstsein ist bei Mercedes-Benz schon lange ausgeprägt. Bereits 1989 auf der ersten Techno-Classica waren die Stuttgarter dabei. „Damals standen bei uns noch Usambaraveilchen auf den Tischen. Doch inzwischen haben wir einen markengerechten Auftritt“, erzählt Dr. Josef Ernst, Leiter der Traditions-PR der Daimler AG. „Traditionspflege bedeutet für Mercedes-Benz, den roten Faden von den Anfängen bis heute aufzuzeigen.“ Mercedes-Benz hat drei Themen in den Mittelpunkt der Messe gestellt. Die Geschichte und Modellpflege des SL, Nachhaltigkeit und Effizienz der Automobiltechnik und das 120jährige Jubiläum der spektakulären Berta-Benz-Fahrt von Mannheim nach Pforzheim. „Wir brauchen keine guten Geschichten zu erfinden, wir haben eine große Geschichte und setzen sie fort“, so Dr. Ernst.

Mercedes war neben BMW die erste Automarke, die sich von Beginn an auf der Messe ihre interessante Historie zunutze machte, um das Markenprofil zu stärken. Mit Erfolg.

Die Begeisterung für eine Marke überträgt sich auch auf Neuwagen. Professor Dr. Willi Diez, einer der renommiertesten deutschen Wirtschaftswissenschaftler, seit 1991 Professor an der Fachhochschule Nürtingen im Studienzweig Automobilwirtschaft und seit 1995 Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, hat das Ergebnis fundierter Forschungsarbeiten auf den Punkt gebracht: „Marken, die auf eine lange Tradition und interessante Geschichte verweisen können, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil“.

Informativ, unterhaltsam und attraktiv inszeniert sind die Klassiker für die Automobilindustrie ein Image-Generator. Begleitet von den teilweise abenteuerlich gestalteten Club-Auftritten bietet sich dem Messe-Besucher ein buntes Bild der Markenwelt.

So stürmen denn auch immer mehr Autonarren von Jahr zu Jahr das Essener Messegelände, über 154.000 Besucher erwarten die Veranstalter an diesem Wochenende. Mit sehnsüchtigen Augen werden die Preziosen bestaunt, mit Digitalkameras fotografiert. Für viele bleiben die Prestige-Autos und Raritäten ein unerfüllter Traum aufgrund utopischer Preise. Doch es geht auch anders. „Den Mercedes da vorne kömma’ gewinne“, ruft eine Kinderstimme aus der Menge. Und so steht eine riesige Menschentraube am Stand der Lebenshilfe Gießen, die jährlich etwa fünf Klassiker in einer Spendanaktion verlost.

Unterm Strich scheint die Rechnung der Hersteller von Prestige-Objekten aufzugehen: Bentley Motors verzeichnete 2007 eine Steigerung des Gesamtabsatzes um 7% und verkaufte über 10000 Autos (vor fünf Jahren waren es noch rund 1000!); der Papst fährt wieder Mercedes: in zweijähriger Entwicklungsarbeit mit dem Vatikan entstand das neue Papamobil, ein Mercedes-Benz auf der Basis des G 500 in vatikanischem Mystikweiß, das bereits seit Dezember auf dem Petersplatz von Papst Benedikt XVI eingesetzt wird.

copyrightRenateFreiling2008

Fahrbericht Renault Clio Grandtour

Vom Sofa in die Sicherheitszelle

veröffentlicht am 26. April 2008, Berliner Morgenpost

Neun Tage lang tauschte ich meinen Renault 16 TL gegen einen funkelnagelneuen Renault Clio Grandtour ein. Es hat sich gelohnt.

Für einen Urlaub brauche ich ein Auto, über das ich nicht nachdenken und um das ich mich nicht kümmern muss. Günstig, etwa gleich groß wie der R16 und ebenso komfortabel sollte es aber schon sein. Ein Mietwagen muss her. Und zwar schnell, denn morgen soll’s losgehen – von Berlin nach Meran über alpine Umwege, also etwa 1000km. Innerhalb von drei Stunden hatte ich das beste Kompaktklasse-Angebot aus dem Internetsumpf herausgefischt. Die grüne Autovermietung war unschlagbar im Preis, allerdings nicht ganz so herausragend im Service. „Die Tankanzeige zeigt nur ¼ an, obwohl er vollgetankt ist“, erklärt der Fahrzeugwart beunruhigt, als er nach 35minütiger Wartezeit schnittig mit einem Renault Clio Kombi auf den Hof fährt. Zu Recht, denn immerhin hat der Wagen erst 20 km auf dem Tacho. Der Fehler, der sich schnell als nicht vorhanden herausstellt, wird unnützerweise im Vertrag vermerkt.

Die aerodynamische Optik des Clio Kombi irritiert mich zunächst, erinnert weder an den altbekannten Clio noch an einen klassischen Kombi. Mit der Dachreling und dem abgeschrägten Heck würde ich das Auto eher als Minivan bezeichnen. Doch schnell kommt mir der Gedanke, dass er mehr mit dem Renault 16 gemein hat, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Der R16 war zu seiner Zeit, 1966-1980, als Mischung aus Kombi und Stufenheck, wie der Grandtour, ein kleines Raumwunder. Von der gewöhnungsbedürftigen Optik ganz zu schweigen. Und beide haben etwa die gleich Länge von 4,20m. Unterschiedliche Motorisierungen gab es natürlich beim R16 auch, jedoch keine Dieselvarianten. Der 1.5 dCi Common-Rail-Diesel mit 86 PS beschleunigt an der ersten Ampel ordentlich und lässt einige andere im Rückspiegel verschwinden. Für meine Verhältnisse schnell. Doch wie gesagt – mein Vergleich ist ein 48kW-Youngtimer mit einer Spitzengeschwindigkeit von 146km/h, also leicht zu toppen.

Zu Hause angekommen, baue ich das Innenleben zum Zweisitzer um. Mit Skiern, drei Koffern und diversem Kleinkram ist der Laderaum noch lange nicht voll. Praktisch dabei ist, dass keine hohe Ladekante wie beim R 16 überwunden werden muss. Die nun von 439 auf 1277 gesteigerten Liter Laderaum überraschen und machen die Entscheidung leicht, noch ein paar mehr unnötige Schuhe, Jacken und Bücher mitzunehmen. Der R 16 hat mit 346 Litern einen kleineren Kofferraum, doch nach einfachem Ausbau des Rücksitzes lässt sich das Volumen auf 1600 Liter steigern. Die in den 60er Jahren schon als das „fahrende Wohnzimmer“ bekannt gewordene Familienlimousine konnte mit ein paar Handgriffen zum Umzugs- oder Wohnmobil umgebaut werden.

Obschon hinten ganz groß, so fehlt doch im Grandtour vorn der Platz. Und zwar zum Ablegen der üblichen Handtascheninhalte und Lebensmittel. Hinter dem Schaltknüppel steht ein Aschenbecher in Form eines kleinen Plastik-Mülleimers, mit dessen Entfernung ich eine zusätzliche Getränkehalterung gewinne. Womit es derer drei sind. Kaffee, Wasser und Trinkjoghurt sind also bestens aufgehoben. Neben der Handbremse ist eine Vorrichtung für 4-5 CDs. An vergleichbarer Stelle befindet sich beim R16 eine üppig gepolsterte aufklappbare Armlehne mit Stauraum für Audiokassetten darunter, die Handbremse ist vorn rechts unterhalb des Lenkrades angebracht. Eine weitere Ablagemöglichkeit im Grandtour befindet sich in der Türverkleidung. Das war’s. Aus Gewohnheit, erst mal alles vor die Windschutzscheibe aufs Armaturenbrett zu legen, landen Sonnenbrille, Landkarte, Kekse, Brieftasche und Telefon genau dort. Doch da ist kein Halten mehr, beim Anfahren kommt mir alles frontal entgegen geflogen, was beim R16 immer erst seitlich in den Kurven herunter rutscht. Es gibt zu wenig Ablagefläche, denke ich, wäre da nicht der Beifahrersitz.

Auf dem Berliner Ring angekommen, führt mich die Autobahn in Richtung Westen - entgegen kommt das Sturmtief „Emma“. Die starken Windböen machen sich bei einer Reisegeschwindigkeit von 130 km/h , anders als beim R 16, kaum bemerkbar. Selbst bei 150 bleibt die Straßenlage bombig fest. Einzig die Lautstärke von Fahrgeräusch und Gegenwind ist so hoch, dass ich Anrufer über die Freisprecheinrichtung meines Telefons kaum verstehen kann. Als nach diversen Telefonierversuchen wieder Ruhe einkehrt, probiere ich das Radio aus, das vom Lenkrad aus mit den Fingerspitzen fern zu bedienen ist. Die Menüführung ist zunächst nicht so einfach zu durchschauen, doch ich finde den gewünschten Sender, ohne das Handbuch lesen zu müssen. Ich probiere weitere Knöpfe aus und komme zur Kilometer- und Verbrauchsanzeige zwischen Tacho und Drehzahlmesser. 6.3 Liter Durchschnittsverbrauch zeigt er an, noch 534 Kilometer zu fahren. Die Tankanzeige steht auf halb voll. Das ist nicht schlecht, der R 16 verbraucht auf langen Strecken ca. 8 Liter, bei solchem Gegenwind 9 bis 10. Ganz zu schweigen von der Geschwindigkeit, die sicher nicht über 110 km/h hinauskäme.

Genug gespielt, ich schaue schon gar nicht mehr auf die Fahrbahn und gerate auf den Standstreifen. Im letzten Moment reiße ich den Lenker herum. Doch der Wagen kommt nicht einmal ins Schleudern. Griffig findet er den Weg zurück in die Spur und tut, als wäre nichts gewesen. Als ich die Richtung gen Süden ändere und Emma von rechts kommt, beschleunige ich auf 160 bis 170km/h. Die Böen merkt der Clio kaum, auch die Beschleunigung funktioniert noch oberhalb von etwa 3000 U/min bestens. Beim R 16 unvorstellbar, er hat eine Neigung zum Segeln.

Endlich – und ohne getankt zu haben – erreiche ich den Alpenrand. Die Straßen sind trocken und die Beschleunigung den Fernpass hinauf ist gut. In den Haarnadelkurven lassen sich mit dem flinken Franzosen Laster und andere Schleicher prima überholen. Jedoch macht sich das kleine, handliche Lenkrad nach der langen Autobahnfahrt in der Nackenmuskulatur bemerkbar. Da ist mir das Riesenrad des R16 doch lieber. Es dunkelt in den Bergen und ich nähere mich dem Ziel. In Meran angekommen husche ich flugs durch den feierabendlichen Verkehr hinein in Hotel Steigenberger’s Tiefgarage. Ein letzter Check der Verbrauchsanzeige sagt mir: Durchschnitt 5,8 Liter/100 km. Das kann sich sehen lassen, meine ich. Allerdings sehe ich nichts im Handschuhfach. Es hat keine Beleuchtung. Oder ist sie vielleicht nur kaputt? Ich suche, doch entdecke ich kein Lämpchen und freue mich, dass mein R16 einen solchen Luxus hat.

Letztendlich hat sich der Tausch rentiert. Der Dieselverbrauch des Grandtour von 5,7l/100km im Vergleich zu 8-10l Benzin beim R16 brachte eine Ersparnis von ca. 30%. Die Fahrzeit hat sich um etwa die gleiche Quote reduziert. Der Fahrkomfort allerdings lässt sich nicht vergleichen. Das Sofagefühl im Renault 16 ist einfach einzigartig. Dafür gibt der Clio Grandtour ein Gefühl von Sicherheit, ökonomischem Bewusstsein und Geborgenheit. Eben genau das, was man für eine schnelle Urlaubsreise braucht.

Seit dem 18. Januar 2008 ist der Clio Grandtour in Deutschland zu Preisen ab 13.400 Euro* erhältlich.

Technische Daten Renault Clio Grandtour:

Kleinwagen-Kombi mit fünf Sitzen, Länge/Breite/Höhe/Radstand: 4,20 Meter/ 1,72 Meter/ 1,50 Meter/ 2,58 Meter, Kofferraumvolumen 439 Liter bis 1277 Liter;

*kleinste Version: 1,2-Liter-Ottomotor mit 55 kW/75 PS.

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Freitag, 21. März 2008

Youngtimer





Viel Kult für kleines Geld

Veröffentlichung: Die Welt, Berliner Morgenpost am 22.März 2008

Viele denken, alte Autos sind nur was für reiche Leute. Stimmt aber nicht. Denn die Oldtimer-Szene hat einen boomenden und billigeren Ableger bekommen – die Youngtimer. Immer mehr jüngere Fahrer besinnen sich auf Charakterautos aus vergangenen Zeiten. Ob sie im Ford Granada als Jugendliche von ihren Eltern aus der Disko abgeholt wurden oder der Lehrer einen Renault 16 fuhr, diese Melancholie verursachenden Karossen werden wieder „hip“. Und so teuer wie „normale“ Oldtimer sind sie lange nicht. Auf der weltgrößten Klassiker-Messe Techno Classica in Essen sind am nächsten Wochenende einige der schrillen 60er-, 70er- und 80er-Vehikel zu sehen, zu erfahren und zu kaufen.

Ein VW 1600L Variant war 1979 mit elf Jahren auf dem Buckel eigentlich schon ein Youngtimer und kostete circa 500 DM. Abiturienten, Studenten und Individualisten fuhren gern solche alten Autos, um darüber ihren Protest gegen das Spießertum kundzutun. Und natürlich weil sie billig und lässig waren – das Wort „cool“ war damals noch nicht eingedeutscht. Diese Kisten fingen bereits im Alter von sechs Jahren an zu rosten und wurden selten älter als zehn. Passanten blieben naserümpfend stehen, wenn solche Modelle mit röhrenden Auspuffen und löchrigen Kotflügeln um die Ecke bogen. Ein neuer B-Ascona, Scirocco oder Golf 1 – das waren die bürgerlichen Autos. Doch auch sie verschwanden – wie der Variant - von den Straßen, und zählen heute zum trendigen Nachwuchs der Oldtimerszene – der Kategorie „Youngtimer“.

Profis, Kenner und Sympathisanten der Young- und Oldtimer-Branche treffen sich bei der Techno Classica, die zu ihrem 20. Jubiläum vom 26. bis zum 30. März 2008 über 150000 Besucher erwartet. Kein Wunder, denn mehr als 1000 Aussteller bieten alles, was das Herz der Old- und Youngtimer-Freaks begehrt. Von der Blumenvase am Armaturenbrett über die elektronisch gesteuerte Zündeinheit bis hin zur Versicherung. Clubs und Automobilhersteller inszenieren die extravagantesten, schrägsten und kultigsten Modelle einfallsreich und unterhaltsam.

So hat sich die Autostadt in diesem Jahr den Spaß auf ihr Fähnchen geschrieben. Unter dem Motto „Volkswagen zum Vergnügen“ greifen die Wolfsburger den Trend der Youngtimerei auf. In Halle 7 präsentiert das ZeitHaus, das Museum der Autostadt, eine Sammlung besonders individueller, faszinierender und starker VW-Automobile aus den späten 60er und 70er Jahren. Die Fahrspaß-Autos Käfer Cabrio, VW-Porsche, GTI, Kübel und Buggy haben drei Gemeinsamkeiten: Sie repräsentieren das aktuelle Thema Youngtimer, sie tragen das VW-Signet – und sie standen schon vor drei bis vier Jahrzehnten für eine Einstellung zum Automobil, mit der Volkswagen aktuell Furore macht: für Emotion und für Individualismus. Als im Jahr 1974 der Golf auf den Markt kam, prägte er mit dem Slogan „Auto, Motor und Spaß“ eine ganze Generation. Die Identifikation mit einem Auto war auf einem Höhepunkt angekommen.

Der Trend hat sich weiter entwickelt, die Grenzen zwischen Old- und Youngtimern verwischen. Galt bis Februar 2007 noch die für eine vergünstigte Versicherung notwendige gesetzliche Bezeichnung „Youngtimer“ für 20 bis 30 Jahre alte Fahrzeuge, so ist heute der Übergang Interpretationssache. Je nach Seltenheitswert oder Charakter kann ein Youngtimer 15 oder auch 35 Jahre alt sein. Erfunden wurde der Begriff 1993, als der ADAC Nordrhein den historischen Motorsport für neuere Baujahre entdeckte und die Youngtimer Trophy, eine der renommiertesten Motorsportveranstaltungen dieser Szene, ins Leben rief. Im Reglement wurde er festgelegt auf Boliden aus den Baujahren zwischen 1966 und 1988. Um in die günstige Steuer- und Versicherungsklasse zu kommen, ist heute ein H-Kennzeichen erforderlich. Das bekommen gepflegte Fahrzeuge im Originalzustand, die mindestens 30 Jahre Lebenserfahrung nachweisen können.

„In der Sparte der Youngtimer werden im Gegensatz zu Oldtimern die Fahrzeuge oft noch alltäglich genutzt. Viele der mehr als 16 Millionen ADAC-Mitglieder besitzen einen Oldtimer, weit mehr als 70% der historischen und klassischen Fahrzeuge sind in den pflegenden Händen von ADAC-Mitgliedern,“ erklärt Albert Kockelmann, Leiter der Oldtimer- und Clubkoordination des ADAC und Mit-Herausgeber des neu aufgelegten ADAC Oldtimer-Ratgebers, der Pflichtlektüre für Einsteiger in die Klassikerszene.

Die Anschaffungskosten für einen Youngtimer sind relativ gering. Etwa 45% aller historischen Fahrzeuge haben einen Wert von bis zu 5000 € (Quelle: ADAC Oldtimer-Ratgeber).

Rund 2000 Prachtstücke werden bei der Essener Messe zum Verkauf angeboten. Doch sollten Einsteiger gut informiert, überlegt und mit fachmännischer Unterstützung an den Kauf herangehen. Oft zahlt man nur für das Image der Marke und eine coole Selbstdarstellung. Peter K., Kreativdirektor einer Berliner Werbeagentur, fährt einen 1969er Porsche 911 - mittlerweile ein Klischee. „Der ist todschick, war mit 12000 € ein Schnäppchen. Aber die Ersatzteile und Reparaturen fressen mir die Haare vom Kopf,“ klagt er. Anders beim Peugeot 205, der in diesem Jahr auf der Techno Classica seinen 25. Geburtstag feiert. Ersatzteile gibt es preisgünstig in ausreichenden Mengen und schrauben kann man noch selbst. Auch bei diesem damaligen Trendsetter setzt der Hersteller auf die Nachwuchs-Zielgruppe der Youngtimer-Fahrer. 1983 führte Peugeot den 205 auf dem Markt als Nachfolger des 104 ein und produzierte bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1998 knapp 5,3 Millionen Exemplare als Zweitürer, Viertürer, Cabrio sowie Kastenwagen mit Motoren von 45 PS bis 200 PS. In Deutschland ist der bis 1996 angebotene 205 mit insgesamt 422.318 zugelassenen Exemplaren noch heute der erfolgreichste Peugeot aller Zeiten. Und der Bestand ist auch 10 Jahre nach Ende des Verkaufs immer noch beeindruckend: Zum 1. Januar 2007 waren noch 67.694 Exemplare in Deutschland zugelassen.

Ebenfalls 25 Jahre alt und 304 PS stark ist der kantige Audi Sport quattro am Stand der Audi Tradition. Gekonnt inszeniert im passenden Ambiente steht der „Quattro“ in einem kompletten Rallye-Servicepunkt, es gibt Rallye-Filme von Audi zu sehen, dazu originale Rallye-Utensilien und Rallye-Pokale aus der Zeit der 80er-Jahre.

Die Youngtimer rollen weiter in die nächsten Jahrzehnte, und rollen und rollen... Der Trend setzt sich fort, und so werden sicher auch in Zukunft weitere Klassiker geboren, die heute noch nicht als solche erkannt worden sind. Also: heute günstig graue Mäuse kaufen, morgen zur Young- und übermorgen zur Oldtimer-Szene gehören.

CopyrightRenateFreiling2008

Montag, 25. Februar 2008

WinterRAID

Mathe für Frankophile

veröffentlicht am 19. Januar 2008 in der Berliner Morgenpost, am 26. Januar 2008 in der WELT


Mit einem Peugeot auf dem Schweizer WinterRAID 2008

Meine Hände malträtieren das Lenkrad, die Fingerknöchel sind schon ganz weiß. Ich hänge schräg vor dem Autoradio und kämpfe gegen die Fliehkraft, die uns in der scharfen Rechtskurve überwältigt; und uns – so scheint’s - gern nach links gegen eine Schneewand aus dem Rennen werfen würde. Aber der sportliche Ehrgeiz hat uns gepackt. Wir wollen mit unserem 29jährigen Peugeot 504 Coupé den 5. WinterRAID, der zu den härtesten Winterrallyes Europas zählt, gewinnen.

57 weitere Old- und Youngtimer der Baujahre 1929 bis 1983 und der vier- bis sechsstelligen Preisklassen waren in diesem Jahr im Schweizer Ferienort Klosters am Start. Sie legen an drei Tagen etwa 800 verspielte Kilometer über 9 Alpenpässe der winterlichen Schweiz, des Trentinos und Südtirols zurück. Dabei gilt es, die gesteckten Tagesziele Meran, St. Moritz und Lenzerheide unter Vorgabe einer stattlichen Durchschnittsgeschwindigkeit und zum selbst errechneten, sekundengenauen Zeitpunkt zu erreichen. Doch das wäre selbst bei erschwerten Wetterbedingungen noch zu einfach und keine „richtige“ Gleichmäßigkeits-Rallye. Und so hat die Rennleitung des Basler Veranstalters Hans-André Bichsel auf den Routen noch kleine Sonderprüfungs-Schmankerln für das Co-Piloten-Hirn eingebaut. Denn der Beisitzer hat die wichtigsten Aufgaben und die meiste Arbeit: den Chauffeur zu lotsen, bei Sonderprüfungen die Stoppuhr zu drücken und unter Anwendung schwieriger mathematischer Formeln die Sollzeit für unsere Ankunft herauszufinden.

Bei strahlendem Sonnenschein und klirrender Kälte navigiert uns das Roadbook, das auf den Meter genau den Verlauf der Tagesetappen aufzeigt, durch das von Skiurlaubern bevölkerte Davos, St. Moritz und Zernez. Unser frisch gewaschener Franzose der ältesten noch existierenden Automarke der Welt macht mit seiner eleganten Karosserieform von Star-Autodesigner Pininfarina und der Lindgrünmetallic-Lackierung richtig was her. 1978 war dieses Modell mit seinem von Peugeot, Renault und Volvo entwickelten Euro-V6-Motor bereits Sieger bei der Bandama-Rallye an der Elfenbeinküste. Allerdings unter anderen Witterungsverhältnissen und mit anderem Reglement. Hier ist die Straßenverkehrsordnung oberstes Gebot, was die Gewinnchancen für Alltagsoldtimer erheblich erhöht.

Gekonnt manövriere ich Herrn Meier, wie der Wagen nach seinem langhaarigen Vorbesitzer gestern von uns getauft wurde, die Serpentinen des Reschenpasses Richtung Südtirol hinunter. Die Dunkelheit bricht herein, nach sechsstündiger Fahrt macht sich Müdigkeit bemerkbar. „Lass’ mich wieder fahren“, ruft mein Co-Pilot – und Eigner des Herrn Meier - erschreckt. Die Kurve habe ich noch gekriegt, weiß also gar nicht was er will, komme dennoch schnittig am Straßenrand zum Stehen, schnappe mir das Sofakissen, das mir die richtige Position im Fahrersitz verschafft, und räume dieselbe. Weiter geht’s. Mittlerweile sitzt uns die Zeit im Nacken. Die errechnete abendliche Ankunftszeit ist schon längst nicht mehr zu halten, weil eine vereiste Seitenstraße uns nicht nur Nerven, sondern auch Minuten gekostet hat. Nun noch eine Schlauchprüfung – 87 Meter in 11 Sekunden. Und das Ergebnis dann auf die Gesamtzeit umrechnen? Wir geben es auf. Das ist zu viel der Rechnerei für zwei frankophile Autonarren, die sich lieber über die komfortable Innenausstattung unterhalten.

Im noblen Meraner Hotel Steigenberger eingetroffen, stellen sich – ähnlich wie nach einer Bootsfahrt - Schwindel und ein gestörtes Verhältnis zum Erdboden ein. Ob das der Rausch der Geschwindigkeit ist? „Das ist normal bei der Raserei“, bestätigt mir Hansruedi, der den zweiten Franzosen, einen Renault 4 CV, fährt. Mit 747 ccm, 21 PS, drei Gängen, vier Türen und einer Produktionszahl von über 1,1 Mio von 1947 bis 1961 war er das Volksauto der Franzosen. Eine Sportvariante des „Cremeschnittchens“ – wie es aufgrund seiner wüstengelben Original-Armeefarbe genannt wurde – gewann 1954 sogar die Mille Miglia in seiner Klasse. „Genug gefachsimpelt. Schnell essen, schlafen und munter um 5.30h aufstehen“, heißt mahnend die Devise meines Steuermannes. Ich plädiere dafür, morgen blau zu machen und den Luxus der Therme Meran zu genießen. Doch die Stimmung beim Dinner heizt meine Euphorie wieder an. Die ganze mit ihren Schmuckstücken junggebliebene Gesellschaft der Piloten und Co scheint sich verbandelt zu haben. Über die Tische hinweg tauscht man sich aus über „zu viel Mathematik“ und „zu wenige spaßige Sonderprüfungen“, motorische Verbindungen der Teilnehmer, über brenzlige Situationen und erste Blechschäden. Die hartgesottenen Frauen und Kerle sind gerade erst warm geworden, sie wollen den Wettbewerb, die sportliche Herausforderung, an ihre Grenzen gehen, und das steckt an.

Am nächsten Morgen beim Fahrerbriefing lautet die Wetterprognose: am Nachmittag Schnee. Allgemeine Freude kommt auf, besonders bei den Cabriolet-Fahrern. Was wäre eine Winterrallye ohne Schnee! Los geht die wilde Fahrt ins Trentino zu den Dolomiten. Über den Karerpass nach Canazei und rauf auf den Passo Pordoi, wo schon das Ziel der zweiten Sonderprüfung lauert. Eine Pinkelpause hat uns drei Minuten gekostet, das gibt Strafpunkte. Schnell wie der Wind fliegen die traumhaften Skipisten des Dolomitengebietes Sella Ronda vorbei. Und ebenso einer der vielen Porsche 911, der offenbar nicht mehr rechnen, sondern lieber als Erster ankommen mag. Wir lassen uns Zeit und genießen - trotz der gebotenen Eile. An einer Tankstelle treffen wir Ferruccio, einen Schweizer Rechtsanwalt, der seinen Kopf aus dem MG steckt und erzählt, wie er gerade seinen Führerschein und 150 Euro Strafe an die italienische Polizei abgeben musste. „Ärgerlich daran war nur, dass ich soviel Zeit verloren habe“, schmunzelt er und tritt das Gaspedal durch. Der Schneefall setzt ein. Mit zusammengebissenen Zähnen, meine Finger in die weichen Velours-Sitzpolster gekrallt, erklimmen wir den Ofenpass. Dicke, wehende Schneefahnen über der Motorhaube und dazu das richtige Gespür für das Vehikel bringen hier den Nervenkitzel. Herrn Meier’s starker Heckantrieb ist nicht ideal bei diesen Verhältnissen, doch beherrschbar. In Pontresina angekommen steht noch der Schneepistenparcours von Montebello bevor. Eine Runde als eigene Vorgabe, die im zweiten Durchgang genauso schnell zu absolvieren ist. 56 Sekunden brauchen die wagemutigsten Helden für die 500 Meter. Einer der eifrigen Porschefahrer geht bei seiner zweiten Runde verloren. Erst nach 4.454 sec. und der Entsendung von zwei Suchfahrzeugen taucht er wieder auf. Das gibt Gelächter beim letzten gemeinsamen Abendessen im luxuriösen Kempinski Grand Hotel des Bains in St. Moritz.

Der dritte und letzte Tag steht bevor. Nach dem Fahrerbriefing erhält die Rennleitung Besuch von der Schweizer Polizei. Sie sucht drei Freunde der automobilen Klassik, die sie bei nächtlichem Schneegestöber aufgrund des Tempos fotografisch gut getroffen hat, und beschwert sich bei der Gelegenheit auch mal so ganz im Allgemeinen: „Die fahren ja wie die rüdigen Affen“. Und schon stehen diese wieder aufgereiht hintereinander. Etwas wehmütig und mit dem Gefühl, schon seit Wochen auf dieser Rallye zu sein, starten wir nach Lenzerheide. Ein Leichtes, den Julierpass mit Schneeketten zu überqueren.

Sieger geworden sind nicht wir, sondern ein deutsches Modell: der Opel Commodore. Aber gewonnen haben wir trotzdem – das unbeschreibliche Gefühl, etwas Großes erlebt und geleistet zu haben, nicht nur auf dem Sektor der Mathematik. Und beim nächsten WinterRAID versuchen wir es einfach nochmal.

copyrightRenateFreiling2008

Oldtimer-Rallyes Winter:

WinterRAID 2009: 15. bis 17. Januar, ca. 60 Fahrzeuge bis Baujahr 1978 und Sondergenehmigungen, Nenngeld 2009: abhängig von Strecke und Hotel, ca. 1.890 € (2 Pers. im Dz.). www.raid.ch

Planai Classics 2009: voraussichtlich 4.und 5. Januar, 55 Fahrzeuge bis Bj. 1972. www.ennstal-classic.at

Nachschlagewerk für sämtliche Oldtimerveranstaltungen: www.classiquecardiary.de

Peugeot 504 V6 Ti Coupé:

Bj: 1974-1983

Motor: Euro-V6 Heckantrieb mit 2664 ccm, 144 PS, Rallyeversion mit 225 PS

Produktionszahl: 26.629

Höchstdrehzahl 8.000/min.
Verdichtungsverhältnis 10,5 bis 11,1.

Gewicht: ca. 1.400 Kilogramm

Höchstgeschwindigkeit: 187 km/h

Preise: Neupreis 1979 ca. 36.230 DM; Zustand 2 heute ca. 11-13.000 €

Peugeot-Oldtimer-Szene: www.peugeot-amicale.de

„Cremeschnittchen“ Renault 4CV:

Bj: 1947-1961

Motor: Heckantrieb mit 760/747 ccm, 17-21 PS; Rallyeversion mit 42 PS

Produktionszahl: 1.105.543

Drehzahl 3.500 bis 6.000/min.
Verdichtungsverhältnis 7,3 bis 7,8

Gewicht: ca. 600 Kilogramm

Höchstgeschwindigkeit: 95-140 km/h

Preise: Neupreis 1961 einschl. Heizung Standardmodell 3.885 DM, Luxusmodell 4.385 DM; Zustand 2 heute ca. 7-9.000 €

Renault-Oldtimer-Szene: www.renault-club.de

Touristische Informationen und Verkehrsinfos:

Hotelreservierung und allgemeine Informationen: www.klosters.ch

Verkehrs-, Oldtimer- und Touristikinformationen: www.adac.de

Straßenverhältnisse in Graubünden: www.strassen.gr.ch/

Schweiz Tourismus: www.myswitzerland.com

Regionale und touristische Informationen: www.suedtirol.com

Verkehrs- und Tourismusinformationen über das italienische Trentino: www.trentofunivie.com, www.trentino.to

Nachschlagewerk der Wintersportgebiete und Karten: ADAC SkiGuide Alpen 2008, 19,95 €

AvD-Histo-Monte

Wer sagt, dass fliegen schöner ist?
Die AvD-Histo-Monte bringt 50 Young- und Oldtimer an die Côte d'Azur

veröffentlicht am 16. Februar 2008 in der WELT und Berliner Morgenpost

Eine Reise in den Süden ist dieser Tage eigentlich eine feine Sache. Rein in den Flieger, sich entspannt der Fliehkraft hingeben und schon zwei, drei Stunden nach dem Abheben am Mittelmeer aufschlagen. Billig, schnell und bequem. Doch es soll Menschen geben, die nicht davor zurück schrecken, die lange Überlandfahrt „auf Achse“ anzutreten, und noch dazu unterwegs nette Abstecher machen. Was das für Leute sind? Die Antwort ist einfach: die Teilnehmer der Oldtimer-Rallye AvD-Histo-Monte.

Seit 14 Jahren veranstaltet der Automobilclub von Deutschland die etwa 2000 Kilometer lange touristische Orientierungsfahrt, um die Tradition der legendären Rallye Monte Carlo und die Erinnerung an die Klassiker der Rallye-Autos aufrecht zu erhalten. Die tollkühnen Fahrer reisten, oder besser rasten, bis 1996 aus allen Ecken Europas nach Monte Carlo an – aus Kopenhagen, Barcelona, Reims, Turin und dreimal sogar aus dem hessischen Hanau.

Auf den Spuren der 1911 als Sternfahrt erfundenen „Königin des Rallyesports“ verfolgen nun 50 bunt gemischte Vehikel vier Tage lang ein Ziel: den Hafen des Fürstentums zu erreichen; und das, wenn möglich, als Sieger. Schlechter platziert ist auch nicht schlimm, denn dabei sein ist alles. Kreuz und quer eilen sie durch die überwiegend französischen Lande und stoppen die Zwischenzeiten – wie früher. Historische Prüfungen wie die im Tal der Chartreuse, am Col de Bleine und am Col de Turini in den französischen Seealpen sind inklusive.

Nichts für Warmduscher

Die fünf Baujahr-Klassen der 50er bis 80er starten an einem sonnigen Winter-Donnerstag auf dem Hanauer Marktplatz. Wo auch die Schwierigkeiten schon beginnen. Der 8-Zylinder-Triumph TR7 mit der Startnummer 5 erscheint nicht. „Technische Schwierigkeiten“, teilt Fahrer Thomas Schumann, Spezialist für Hanhart-Stoppuhren, per Telefon mit. Fahren will er trotzdem, wenn auch später. Mit etwa 50 Verspätungsminuten passiert der TR 7 das Starttor in Richtung Opel-Testgelände. Hier werden Insassen und Auto auf die erste harte Zeitprobe gestellt und auf abenteuerlichem Straßenbelag erst mal richtig durchgerüttelt. Kaum wieder auf der normalen Straße zurück, sind die anderen Teilnehmer nicht mehr zu sehen. Nur irgendwo am Horizont biegt ein grauer Käfer ab. Das war doch definitiv die falsche Richtung, oder? Wer im Bordbuch, der Orientierungsbibel der Rallye, den Faden verliert, ist aufgeschmissen. Flugs in der Landkarte nachgeschaut und losgeprescht. Die Zeit drängt bereits, ab 15 Uhr ist Mittagspause mit Saumagen und Sauerkraut in Pirmasens. Danach ruft der märchenhafte Pfälzerwald mit einer weiteren Sonderprüfung. 8,27 Kilometer in 10 Minuten und 20 Sekunden. Zu dem Berg an Material auf dem Beifahrerschoß gesellt sich nun auch noch die sogenannte Schnitttabelle, in der nach diesen Vorgaben die Geschwindigkeit zu finden ist. „Das ist eben keine Veranstaltung für Warmduscher“, wie ein Hanauer Zuschauer am Morgen kommentierte. Mitmachen kann trotzdem jeder, der einen mindestens 20 Jahre alten fahrbaren Untersatz mitbringt. Nur möglichst Rallye-authentisch sollte er sein, so wie etwa ein Renault 4 CV, ein 1200er VW Käfer, ein Kadett oder Opel Ascona, in dem Walter Röhrl 1982 die Monte gewann. Dessen ehemaliger Co-Pilot Jochen Berger ist als professioneller Herausforderer mit dem ehemaligen Radprofi Klaus-Peter Thaler am Steuer bereits zum 8. Mal bei der AvD-Histo-Monte dabei. „Es gibt eine Menge an gutem Nachwuchs. Die Rallyes sind besser, genauer und ausgetüftelter als früher“, bemerkt Berger, setzt sich lässig auf den Beifahrersitz und landet in der Tageswertung immerhin auf Platz fünf.


Eine Stoppuhr ist die halbe Miete

Schon am zweiten Morgen ist die 12stündige Tortur des ersten Tages vergessen und das Teilnehmerfeld eine eingefahrene und lustig beflügelte Gemeinschaft. Schumann wird bereits „Schumacher“ genannt. Im Hosenträgergurt sitzt er im TR7 wie festgetackert. Das Cockpit ist voll ausgestattet. Mit Twinmaster zur zweifachen Kilometermessung und Präzisionsstoppuhren fährt er in der Sanduhrklasse – digitales Equipment verboten. „Mit diesen Instrumenten lassen sich Siege einfahren, das werde ich schon zeigen“, sagt er scherzhaft, lässt den Motor aufheulen und startet zum Tiefflug. Die Messgeräte gehören bei den ernst zu nehmenden Rallyefahrzeugen zur Ausstattung, doch eine gute Stoppuhr ist auch für den Laien die halbe Miete. Schade nur, dass vor lauter Einstellungen, Messungen und Bordbuch-Lesen keine Zeit bleibt, die Landschaft zu genießen. Und so wären beinahe einige Teams am atemberaubenden Ausblick auf den Mont Blanc im Abendrot vorbei gerast. Hätte nicht der signalorangefarbene Skoda 110 mit Rallyemeister Matthias Kahle am Steuer einfach mal ausgebremst, bevor das Feld in Aix-Les-Bains zum Betten-Stopp einfliegt.


Der Spaßfaktor

Spartanisch ausgerüstet ist Kabarettist Urban Priol mit seinem Mercedes 190 aus dem Jahre 1959 unterwegs. Der W121 ist kein typisches Rallyeauto, war zu seiner Zeit eher eine gemütliche Großraumlimousine für den Typ „wohlhabender Mann mit Hut“ und wurde auch gern als Taxi genommen. Den Tchibo-Reisewecker im Handschuhfach, Bordbuch und Schreibutensilien auf dem Schoß und sportlehrermäßig die Stoppuhr in der Hand, hockt Fabian Seydel auf dem Beifahrersitz. „Endlich ist mein Beruf mal zum Hobby geworden“, witzelt der Steuerberater und stoppt die Sekunden, die der Bolide für einen Kilometer braucht. Der „Klick“ im Kilometerzähler ist sein Zeichen. Hier wird auch auf dem Fahrersitz richtig gearbeitet, denn der 50 PS-Motor zieht nicht die Wurst vom Teller, geschweige denn die fast 1200 Kilogramm Gewicht ohne Servolenkung die Serpentinen hinauf, und kann kaum den vorgegebenen Durchschnitt von 42 km/h erreichen. Und dann auch noch Trommelbremsen! Das Reizvolle an diesen Rallyes sei das Zusammenspiel dieser alten, damals fortschrittlichen Technik des Oldtimers und der Fahrkünste des Piloten, meint Priol, und bringt den Wagen wenige Zentimeter vor einem steilen Abgrund am Col de Turini um die Kurve. „Bevor ich in de’ Grabe semmel’, versieb’ ich mer libbe die Zeit“, bemerkt er hessisch und nebenbei. Das scheint nicht jeder so zu sehen, schnell greift von hinten ein röhrender Porsche 911 an und überholt gewagt. Hier, wo früher die „Nacht der langen Messer“ gefahren wurde, wächst der Ehrgeiz mit der Faszination der spektakulären Straße. Diese Sonderprüfung ist nur schwer zu schaffen, das Priol-Seydel-Team hat keine Chance gegen geübte alte Hasen.





Das behütete Abenteuer


Die letzte Etappe vom Col de Turini hinab in Richtung Monte Carlo ist nicht lang. Aber sie hat’s in sich. Scharfe Kurven und tiefe Abgründe, die zum Gleitschirmfliegen geeignet scheinen. Kaum vorzustellen, was bei Schnee uns Eis alles passieren könnte. Da wundert sich der beherzte Co-Pilot des Lebenshilfe-Gießen-Käfers, Reinhard Schade, dass die Begleitfahrzeuge stets an den Serpentinen parat stehen, waren sie doch eben noch auf der anderen Seite des Berges. „Alles nur Koordination“, erklärt Johannes Hübner, der in einem der „Orga“-Autos unterwegs ist und den „Begleit-Service“ organisiert. „Im Elsässer Wald haben wir sieben Autos aus dem Schlamm gezogen“, erzählt er, und fragt schmunzend: „Wie die bloß da rein gekommen sind?“ Das Abenteuer der AvD-Histo-Monte ist sicher eines der wohlbehütetsten dieser Sorte. Da fühlt man sich am Boden beinahe sicherer aufgehoben als in der Luft. Beinahe. Heißt es doch im Bordbuch: ‚Die Durchfahrt am Ziel erfolgt „fliegend“.’ Und vielversprechend weist ein Straßenschild mit geflügeltem Hirsch auf Wildwechsel hin.

Das Ziel in Monte Carlo erreichten alle außer einem Volvo, der mit Motorschaden den Rückweg antreten musste. Die Skoda-Piloten Kahle und Göbel flogen als Gesamtsieger, die Profis Thaler und Berger auf dem 2. und die Abenteurer Priol und Seydel auf dem 30. Platz ein. Hanhart-„Zeit-Messer“ Schumann landete auf Position 37.

copyrightRenate Freiling2008