Freitag, 21. März 2008

Youngtimer





Viel Kult für kleines Geld

Veröffentlichung: Die Welt, Berliner Morgenpost am 22.März 2008

Viele denken, alte Autos sind nur was für reiche Leute. Stimmt aber nicht. Denn die Oldtimer-Szene hat einen boomenden und billigeren Ableger bekommen – die Youngtimer. Immer mehr jüngere Fahrer besinnen sich auf Charakterautos aus vergangenen Zeiten. Ob sie im Ford Granada als Jugendliche von ihren Eltern aus der Disko abgeholt wurden oder der Lehrer einen Renault 16 fuhr, diese Melancholie verursachenden Karossen werden wieder „hip“. Und so teuer wie „normale“ Oldtimer sind sie lange nicht. Auf der weltgrößten Klassiker-Messe Techno Classica in Essen sind am nächsten Wochenende einige der schrillen 60er-, 70er- und 80er-Vehikel zu sehen, zu erfahren und zu kaufen.

Ein VW 1600L Variant war 1979 mit elf Jahren auf dem Buckel eigentlich schon ein Youngtimer und kostete circa 500 DM. Abiturienten, Studenten und Individualisten fuhren gern solche alten Autos, um darüber ihren Protest gegen das Spießertum kundzutun. Und natürlich weil sie billig und lässig waren – das Wort „cool“ war damals noch nicht eingedeutscht. Diese Kisten fingen bereits im Alter von sechs Jahren an zu rosten und wurden selten älter als zehn. Passanten blieben naserümpfend stehen, wenn solche Modelle mit röhrenden Auspuffen und löchrigen Kotflügeln um die Ecke bogen. Ein neuer B-Ascona, Scirocco oder Golf 1 – das waren die bürgerlichen Autos. Doch auch sie verschwanden – wie der Variant - von den Straßen, und zählen heute zum trendigen Nachwuchs der Oldtimerszene – der Kategorie „Youngtimer“.

Profis, Kenner und Sympathisanten der Young- und Oldtimer-Branche treffen sich bei der Techno Classica, die zu ihrem 20. Jubiläum vom 26. bis zum 30. März 2008 über 150000 Besucher erwartet. Kein Wunder, denn mehr als 1000 Aussteller bieten alles, was das Herz der Old- und Youngtimer-Freaks begehrt. Von der Blumenvase am Armaturenbrett über die elektronisch gesteuerte Zündeinheit bis hin zur Versicherung. Clubs und Automobilhersteller inszenieren die extravagantesten, schrägsten und kultigsten Modelle einfallsreich und unterhaltsam.

So hat sich die Autostadt in diesem Jahr den Spaß auf ihr Fähnchen geschrieben. Unter dem Motto „Volkswagen zum Vergnügen“ greifen die Wolfsburger den Trend der Youngtimerei auf. In Halle 7 präsentiert das ZeitHaus, das Museum der Autostadt, eine Sammlung besonders individueller, faszinierender und starker VW-Automobile aus den späten 60er und 70er Jahren. Die Fahrspaß-Autos Käfer Cabrio, VW-Porsche, GTI, Kübel und Buggy haben drei Gemeinsamkeiten: Sie repräsentieren das aktuelle Thema Youngtimer, sie tragen das VW-Signet – und sie standen schon vor drei bis vier Jahrzehnten für eine Einstellung zum Automobil, mit der Volkswagen aktuell Furore macht: für Emotion und für Individualismus. Als im Jahr 1974 der Golf auf den Markt kam, prägte er mit dem Slogan „Auto, Motor und Spaß“ eine ganze Generation. Die Identifikation mit einem Auto war auf einem Höhepunkt angekommen.

Der Trend hat sich weiter entwickelt, die Grenzen zwischen Old- und Youngtimern verwischen. Galt bis Februar 2007 noch die für eine vergünstigte Versicherung notwendige gesetzliche Bezeichnung „Youngtimer“ für 20 bis 30 Jahre alte Fahrzeuge, so ist heute der Übergang Interpretationssache. Je nach Seltenheitswert oder Charakter kann ein Youngtimer 15 oder auch 35 Jahre alt sein. Erfunden wurde der Begriff 1993, als der ADAC Nordrhein den historischen Motorsport für neuere Baujahre entdeckte und die Youngtimer Trophy, eine der renommiertesten Motorsportveranstaltungen dieser Szene, ins Leben rief. Im Reglement wurde er festgelegt auf Boliden aus den Baujahren zwischen 1966 und 1988. Um in die günstige Steuer- und Versicherungsklasse zu kommen, ist heute ein H-Kennzeichen erforderlich. Das bekommen gepflegte Fahrzeuge im Originalzustand, die mindestens 30 Jahre Lebenserfahrung nachweisen können.

„In der Sparte der Youngtimer werden im Gegensatz zu Oldtimern die Fahrzeuge oft noch alltäglich genutzt. Viele der mehr als 16 Millionen ADAC-Mitglieder besitzen einen Oldtimer, weit mehr als 70% der historischen und klassischen Fahrzeuge sind in den pflegenden Händen von ADAC-Mitgliedern,“ erklärt Albert Kockelmann, Leiter der Oldtimer- und Clubkoordination des ADAC und Mit-Herausgeber des neu aufgelegten ADAC Oldtimer-Ratgebers, der Pflichtlektüre für Einsteiger in die Klassikerszene.

Die Anschaffungskosten für einen Youngtimer sind relativ gering. Etwa 45% aller historischen Fahrzeuge haben einen Wert von bis zu 5000 € (Quelle: ADAC Oldtimer-Ratgeber).

Rund 2000 Prachtstücke werden bei der Essener Messe zum Verkauf angeboten. Doch sollten Einsteiger gut informiert, überlegt und mit fachmännischer Unterstützung an den Kauf herangehen. Oft zahlt man nur für das Image der Marke und eine coole Selbstdarstellung. Peter K., Kreativdirektor einer Berliner Werbeagentur, fährt einen 1969er Porsche 911 - mittlerweile ein Klischee. „Der ist todschick, war mit 12000 € ein Schnäppchen. Aber die Ersatzteile und Reparaturen fressen mir die Haare vom Kopf,“ klagt er. Anders beim Peugeot 205, der in diesem Jahr auf der Techno Classica seinen 25. Geburtstag feiert. Ersatzteile gibt es preisgünstig in ausreichenden Mengen und schrauben kann man noch selbst. Auch bei diesem damaligen Trendsetter setzt der Hersteller auf die Nachwuchs-Zielgruppe der Youngtimer-Fahrer. 1983 führte Peugeot den 205 auf dem Markt als Nachfolger des 104 ein und produzierte bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1998 knapp 5,3 Millionen Exemplare als Zweitürer, Viertürer, Cabrio sowie Kastenwagen mit Motoren von 45 PS bis 200 PS. In Deutschland ist der bis 1996 angebotene 205 mit insgesamt 422.318 zugelassenen Exemplaren noch heute der erfolgreichste Peugeot aller Zeiten. Und der Bestand ist auch 10 Jahre nach Ende des Verkaufs immer noch beeindruckend: Zum 1. Januar 2007 waren noch 67.694 Exemplare in Deutschland zugelassen.

Ebenfalls 25 Jahre alt und 304 PS stark ist der kantige Audi Sport quattro am Stand der Audi Tradition. Gekonnt inszeniert im passenden Ambiente steht der „Quattro“ in einem kompletten Rallye-Servicepunkt, es gibt Rallye-Filme von Audi zu sehen, dazu originale Rallye-Utensilien und Rallye-Pokale aus der Zeit der 80er-Jahre.

Die Youngtimer rollen weiter in die nächsten Jahrzehnte, und rollen und rollen... Der Trend setzt sich fort, und so werden sicher auch in Zukunft weitere Klassiker geboren, die heute noch nicht als solche erkannt worden sind. Also: heute günstig graue Mäuse kaufen, morgen zur Young- und übermorgen zur Oldtimer-Szene gehören.

CopyrightRenateFreiling2008

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