Sonntag, 20. Juli 2008

"2000km durch Deutschland"



Unterwegs mit dem Bauarbeiter-Bulli

Der Tacho zeigt 100 Stundenkilometer an, die Felder und Wiesen rasen vorbei. Über uns berühren sich wedelnd die Äste der großen, alten Platanen, die sich zu beiden Seiten der Allee erheben. Wir befinden uns in einer VW T1 Doppelkabine und sind Teilnehmer der größten Oldtimerrallye Deutschlands, der "2000 km durch Deutschland". Oldtimer zu fahren ist gewöhnungsbedürtig - und anstrengend. Keine Servolenkungen, keine Bremskraftverstärker, von Sicherheitsgurten und Kopfstützen ganz zu schweigen. So nehmen wird erst einmal eine kurze Gebrauchsanweisung der Betreuer von VW Nutzfahrzeuge an.

Der Fahrer tritt die Pedale von oben nach unten durch und dreht und schiebt das Lenkrad wie einen großen Suppentopf auf dem Herd herum. Der Rückwärtsgang befindet sich unten hinten links. So eingenordet können wir mit unserem Nutzfahrzeug zur großen Tour antreten. Im unmittelbaren Starterumfeld befinden sich eine gelbe T2 Doppelkabine des Jahres 1972, ein Nachfolger unseres Modells und ebenfalls typischer Bauarbeiterbus, sowie ein B-Kadett Cabriolet mit Elvis auf dem Beifahrersitz. „Die schlagen wir mit links“, meint der rallyeerfahrene Co-Pilot. Immerhin gilt es nicht, als erster im Ziel zu sein, sondern in einer Gleichmäßigkeitsfahrt nach vorgegebener Strecke und Straßenverkehrsordnung an den Etappenzielen zu sein. Das dürfte selbst für einen ungelenk scheinenden Bulli kein Problem sein.

Als die Doppelkabine vor 50 Jahren auf den Markt kam, war dies in der ersten Generation der VW-Transporter ein durchschlagender Erfolg. Die Firma Binz, heute durch den Bau von Krankenwagen bekannt, entwickelte 1953 die erste T1 Doppelkabine. Erst 1958 rollte die noch leicht veränderte Version offiziell vom Band des Volkswagenwerks. Das von Insidern auch kurz Doka genannte Arbeitstier wird seit nunmehr 50 Jahren in Serie gefertigt. Mittlerweile gehören die Doppelkabinen der ersten zwei Transporter-Generationen längst zum Bulli-Kult. Unsere Doka ist eine Version aus dem Jahre 1959 mit einem 1,5l- und 42 PS-Motor. Die etwa 200 kg leichtere Karosse bietet trotz kleinerem Motor im Vergleich zu unseren Mitstreitern im T2 deutlich bessere Beschleunigung. Trotzdem lassen sich die Konkurrenten nicht abhängen und treten kräftig aufs Gas.

Die bei Italienern als „deutsche Mille Miglia“ gerühmte und dementsprechend flotte Rallye wird zum 20. Mal - seit dem Start der Neuauflage in 1989 - von betagten Renn-, Rallye- und Sportklassikern bestritten, die im gesamten deutschen Raum punkten wollen. Die „2000 km durch Deutschland“ wurde vor 75 Jahren als Ohne-Halt-Fahrt zum ersten Mal, 1934 zum zweiten, durchgeführt. Im 75. Jubiläumsjahr lockt bereits der Auftakt in Düsseldorf 3000 Oldtimerfreunde an. Dazu herrscht Volksfeststimmung, wenn die ca. 100 Teilnehmer zur einwöchigen Blitzreise durch Deutschlands südlichere Hälfte aufbrechen. An den folgenden Tagen erstürmt das Feld Rheinland-Pfalz, den Schwarzwald, Bayern, Sachsen, Brandenburg und endet im niedersächsischen Hannover. Die Bevölkerung platziert sich in der Stadt und auf dem Land dankbar an den Straßen, um dem Spektakel – zumindest mit den Augen – zu folgen. Neben seltenen automobilen Pretiosen reihen sich auch ehemalige Brot- und Butterautos wie Opel B-Kadett, BMW 2002 und VW Käfer in die Starterliste ein. Und nun kommt noch eine neue Dimension des Fahrspaßes hinzu: das Rallye-Fahren mit zweckentfremdeten Nutzfahrzeugen. Bei den Ortsdurchfahrten über die Marktplätze von Bad Liebenwerda, Luckenwalde, Mittenwalde und Zossen empfangen uns die Bewohner mit großem Applaus. Und das nicht nur, weil Elvis vor uns ausgestiegen ist, um mit seiner Gitarre ein Ständchen zu bringen. Die Bullis sind eine Attraktion. Zwischen Exoten wie einem Jensen C V8 MKIII, einem Sunbeam Alpine und dem letzten Mercedes-Dienstwagen vom Erfinder des Setra bringen die historischen Pick Ups die Zuschauer zum Schmunzeln und Klatschen. „Wo wollt Ihr denn hin, Rohrbruch reparieren?“, fragt einer der Zossener Zuschauer lachend und klopft auf die Pritsche. „Ja genau, wir müssen uns beeilen, sonst gibt’s hier noch `ne Überschwemmung“, antwortet mein Beisitzer und gibt mir ein Zeichen zum Durchstarten. Der Bulli läuft wie geschmiert, liegt fest auf der Straße und gibt mir das Gefühl der Sicherheit. Die langen Alleen Brandenburgs scheinen endlos und verleiten zum Schnellfahren. Elvis und die gelbe Gefahr T2 sind weit zurück geblieben, die Tachonadel ist kurz vorm Anschlag. Nur noch etwa 80 Kilometer bis zum Ziel des vorletzten Rallyetages. Das schafft der Bulli spielend. Und für alle Fälle ist ein Servicefahrzeug mit Ersatzteilen dabei. Die Rallyetauglichkeit der historischen Transporter wird von VW Nutzfahrzeuge seit Anfang dieses Jahres erprobt. Diese Einsätze sollen den Bulli-Kult weiterleben lassen. Die Resonanz des Publikums am Straßenrand zeigt, dass das funktioniert. Auch wir Insassen erleben die Fahrt mit einem kultigen Gefühl. Doch nicht das der Bauarbeiter auf dem Weg zum Rohrbruch. Eher das, was die Hippies damals lebten – ein Gefühl der Freiheit. Die herrlichen Landschaften Deutschlands, durch die wir kommen, tun ihr Übriges dazu.

copyrightRenateFreiling2008

Hüter des verlorenen Schatzes


Gralswächter im Park-Verbot

veröffentlicht in der Welt am Sonntag am 15. Juni 2008

Ein Schweizer Autofriedhof mit historischen Raritäten soll nach 75 Jahren geräumt werden. Dabei hat er das Potential, ein Museum zu werden.

Vogelgezwitscher durchdringt die Waldesruhe. Über kreuz und quer wachsende Wurzeln führt der Pfad hinauf auf einen Holzsteg. Vorbei an Bäumen, die aus Kofferräumen wachsen und Farnen, die bemooste Kotflügel hinter sich verbergen. Das Zirpen wird lauter nahe der großen, düsteren Halle. Ein Zugrattern ertönt. Es verhallt wieder, wird gefolgt von einem Motorengeräusch. Doch die unzähligen Autos rundherum fahren nicht mehr, sind mucksmäuschenstill. Hunderte sind es, die hier auf dem 75 Jahre alten Autofriedhof im schweizerischen Kaufdorf ihre letzten Ruheort gefunden haben. Die Geräusche sind die Klanginstallation des Künstlers Herbert Distel. Er ist einer der 23 Künstler, die sich um den Kurator Heinrich Gartentor geschart haben, um in der Nationalen Kunstausstellung den inspirierenden Ort zu bespielen – und damit zu retten.

Grabesstille

Schon seit 1975 regt sich auf dem historischen Teil des Geländes von Messerli’s Autofriedhof außer in Flora und Fauna nichts mehr. Damals wurden die Hallen gebaut und die Parzelle offiziell im Grundbuch als „Autoabbruch“ eingetragen. Dann beließ Franz Messerli die etwa 500 Autos umfassende Sammlung seines Vaters Walter wie sie war, gönnte den Wracks ihre wohlverdiente Ruhe. Doch nun, nachdem Natur und Technik auf dem märchenparkähnlichen Gelände eine harmonische Einheit geworden sind, haben die Schweizer Gerichte ein radikales Ende der Idylle verkündet. Im April 2009 soll das Gelände geräumt und vom Schrott befreit sein. Umwelt- und Grundwasserschutz seien die Begründung, berichtet Franz Messerli, doch nachgewiesen sei eine Verunreinigung des Grundwassers nicht. Messerli führt Besuchergruppen in Rundgängen über das Gelände. „Das hier ist ein Lancia mit Worblaufen-Karosserie von Ramseier, der dem Chef der Berner Sittenpolizei gehörte“. Stolz, aber auch melancholisch, betrachtet er das seltene Stück, dessen bemoostes Verdeckgestänge gleich wirrer Antennen in die Luft ragt. Zu vielen Exemplaren gibt es persönliche Geschichten, die der „Gralswächter“ gerne erzählt. Da fällt es schwer, einer Exhumierung zusehen zu müssen. „Leute kommen und bieten mir 20000 Franken für ein Wrack,“ schmunzelt der freundliche Endfünfziger. „Mit der Bergung würde man rundherum alles zerstören, das will ich nicht.“ Franz Messerli wünscht sich die Ruhe zurück, die hier einmal herrschte.

Kunstpark

Doch die scheint endgültig vorbei. Der Gerichtsbeschluss hat die Gemüter erregt. Eine Lobby hat sich seit dem Jahre 2006 gebildet, die den Friedhof retten möchte. Der Förderverein „Historischer Autofriedhof Gürbetal“ existiert seit Februar 2008, dessen Gönnermitglieder engagieren sich für den Erhalt der Stätte. Daneben begann Heinrich Gartentor, Gewinner des diesjährigen Kunstpreises der Stadt Bern, im Oktober 2007 an der Realisierung einer Nationalen Kunstausstellung zu arbeiten. Das gemeinsame Ziel lautet: Gründung eines Freilichtmuseums mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Am 1. Juni 2008, dem 75. Geburtstag des Messerli’schen Autoabbruchs, war es soweit. Der eigens für die Ausstellung gegründete Kunstverein Gürbetal eröffnete das bis zum 12. Oktober dauernde Spektakel. Heinrich Gartentor kennt sich in dem neu geschaffenen Kunstpark aus, ist es doch „sein“ Projekt. Die Autowracks sind Kunst, Kult und Kulisse. Bunte Spielsachen und Kameras auf eingedellten Autodächern, Mauern auf Autowracks und ein 66 Meter langer, sich durch und über Autos schlängelnder Schlauch sind nur einige der Installationen, die sich um das Thema „Auto“ in unterschiedlichsten kreativen Facetten ranken. „Da vorn hängen beispielsweise diese drei Nistkästen an den Bäumen,“ erklärt Heinrich. Gezwitscher tönt heraus. Doch dann mutiert es zu einem donnernden Motorenlärm. „blue Thunderbird“ heißt die Installation von Dominik Stauch, einem in Berlin und Thun schaffenden Künstler. Ein Stück weiter, auf einem anderen Teil des Friedhofs, zeigt Heinrich auf eine zertrümmerte Windschutzscheibe, eindeutig keine Kunst. „Mit diesem Thunderbird wurde ein Radfahrer überfahren“, weiß er zu berichten. „Der Radfahrer überlebte, aber der Besitzer des Autos wollte seinen Wagen nicht mehr haben.“

Mystik

Heinrich war als Kind mit seinem Onkel in der ganzen Region auf Schrottplätzen unterwegs, um stets irgendwelche Teile zu suchen. „Daher kenne ich auch diesen Platz. Als ich im September letztes Jahr nach langer Zeit wieder hierher kam, brachte mich der Ort sofort auf die Idee, hier die letztmals 1961 ausgerichtete Nationale Kunstausstellung wieder ins Leben zu rufen.“ Eine mystische Ausstrahlung hat der Park auch auf Nicht-Künstler. Im diffusen Licht, das durch die Tannenzweige dringt, leuchten die Grüntöne von Moos, Laub und Farnen in allen Nuancen. Vereinzelte Sonnenstrahlen fallen auf silbrig schimmernde Spinneweben, und chromblitzende Kühler ragen hervor, als ob sie dort gewachsen wären. Es riecht erdig, nach Wald, zeitweise weht Blütenduft von der Lichtung herüber. Die Atmosphäre ist still und doch geladen - mit Geschichten, Emotionen und mit Pietät. Die stillen Winkel mit den Zeugen längst vergangener Tage wecken Fantasie. Wie Gesichter schauen die Schnauzen der Alten aus dem Wald heraus. Sie tragen würdevoll ihre Namen auf den Kühlern. Englische Raritäten liegen unauffällig zwischen amerikanischen Schlitten und italienischen Sportwagen. Die Schweizer Automobilgeschichte spiegelt einen Querschnitt von Importen aus aller Welt wider. Walter Messerli wollte dieses Bild festhalten, so scheint es.

Kulturgut

Bereits im Jahre 1933 begann er, Autos auszuschlachten und umzubauen. Was übrig blieb, landete auf dem Gelände. Messerli sammelte weiter. Der Ersatzteilverkauf war eine gute Einnahmequelle. Doch nicht alles, was brauchbar war, wurde gleich ausgebaut. So ragen denn aus den gut sortierten Wagenreihen noch chromglänzende Außenspiegel hervor, sind noch intakte Scheiben und Scheinwerfer zu finden. Franz’ erste Pläne nach seiner Übernahme 1975, aus dem vom Vater angelegten Autopark ein Freilichtmuseum zu machen, scheiterten. Der umtriebige Alltag verdrängte das Projekt und so liegen sie noch heute da: einzelne Autos aus den 1930er-Jahren, die Mehrzahl aus den 40ern, 50ern und 60ern und noch einige aus den 70ern. Seltene, ausgestorbene Arten wie Wolseley, Hillman und Panhard. Dazu gesellen sich lebende Arten aus Flora und Fauna. „Eine Schmetterlingsart, die eigentlich sonst nur im Tessin zu finden ist, treibt sich hier herum“, erzählt Messerli. „Und dieser Strauch ist eine von sechs Sorten Brombeersorten, die wir hier haben, insgesamt gibt es acht in der Schweiz“. Gartentor fügt hinzu: “Nicht zu vergessen die Schwarzpappeln, in der Schweiz sind sie extrem selten, auch in Deutschland gibt es nur noch etwa 3000 Exemplare, die Behörden haben bisher nicht einmal ein Inventar der Flora und Fauna erstellen lassen.“ Nicht nur automobiles Kulturgut, sondern auch ein Naturpark also, den es zu retten gilt. Der Anteilnahme der Öffentlichkeit können sich Franz Messerli und Heinrich Gartentor gewiss sein. Doch ob die nötige politische Unterstützung für ein Bleiberecht der schrottigen Gefährten zu generieren ist, bleibt fraglich. „Wenn wir ihn nicht retten können, wäre mir am liebsten, wenn ein reicher Russe käme, cash bezahlt und das Gelände, so wie es ist, mitnimmt“, sagt Messerli wehmütig. „Und es dann zum Beispiel in Sibirien als Freizeitpark für Oldie-Liebhaber eins zu eins wieder aufbaut.“ Doch soweit ist es noch lange nicht. Am nächsten Morgen wird der Gralswächter die Pforten für Kunstinteressierte und Autoliebhaber erwartungsvoll wieder öffnen. Wenn der Friedhof mit Vogelgezwitscher und Bahnrattern zum neuen, alltäglichen Museumsleben erwacht.


Informationen:

Nationale Kunstausstellung, Eintritt 8 €

31. Mai – 12. Oktober 2008, Mi. – So. 11 – 19Uhr, Autoabbruch Franz Messerli, Moosstraße, Kaufdorf im Berner Oberland. S-Bahn Linie 3 zwischen Bern und Thun.

www.autofriedhof.ch

copyrightRenate Freiling2008

Männer, die daneben sitzen


Männer, die daneben sitzen

Bei der Jungfrau-Rallye in der Schweiz dürfen nur Frauen ans Steuer. Dort stellt sich heraus, ob Männer gute Co-Piloten sind – und ob die Beziehung rallyetauglich ist.

veröffentlicht in der Berliner Morgenpost am 28. Juni 2008 und auf WELT online am 2. Juli 2008

„Acht, sieben, sechs, – schneller, schneller!“ Es geht steil die schmale Straße hinauf, das Bergmassiv der über 4100 Meter hohen Jungfrau im Hintergrund. Susanne tritt gemächlich auf das Gaspedal, Ulrich schreit gegen den Motor an und fuchtelt mit den Armen. „Nicht so langsam, Susanne!“ Oben angekommen rollt der Mercedes 190 SL ruhig durch die Lichtschranke und stoppt beim Streckenposten. „Exakt 8 Sekunden für 50 Meter, wie vorgegeben, super“, sagt dieser und trägt die Zahl in seine Unterlagen für die Wertung ein. Ein kurzes „siehst Du!“ von Susanne, und Ulrich sagt kleinlaut den nächsten Abzweig „nach 800 Metern rechts“ an. Einer der harmloseren Dialoge, die bei der Schweizer Jungfrau-Rallye am letzten Wochenende zu hören waren. Denn dort hatten die Frauen das Steuer fest in der Hand, Männer wurden auf die Beifahrersitze verbannt.

4158 Höhenmeter hat die Jungfrau, die sich im Hintergrund in den strahlend blauen Himmel erhebt, ein paar mehr an Kubikzentimetern hat der Jaguar E-Type, der sich vor der Rugen-Brauerei bei Interlaken in die Starterreihe stellt. Einparken darf noch der Mann, doch nach dem Start müssen sich Frauen als Rallye-Fahrer und Männer als multitaskingfähige Co-Piloten bewähren. An zwei Tagen kundschaften etwa 80 Teams mit ihren frisch polierten Karossen der Baujahre 1930 bis 1979 die sommerliche Berg- und Hügellandschaft des Berner Oberlandes aus. Etwa zwei Drittel der Blechbüchsenbande sind mit männlichen Co-Piloten besetzt. Darunter Profis, Stammgäste und Anfänger, die das Grundwissen der Rallyewelt erfahren wollen. Über rund 240 Kilometer Nebenstraßen führen die Routen, die auf 10 Meter genau ausgemessen und in einem Bordbuch für die Navigation dokumentiert sind. Unterbrochen werden die einzelnen Etappen von Zeitmessungen sowie Geschicklichkeits- und Spaßprüfungen, die nicht nur für Unterhaltung, sondern auch für Beziehungskrisen sorgen können.

Susanne und Ulrich fahren zum zweiten Mal bei der Jungfrau-Rallye mit. „Letztes Jahr waren wir besser“, erzählt Susanne enttäuscht. „Er guckt immer in der Gegend herum und will alles im Griff haben, statt sich auf seine Beifahrertätigkeiten zu konzentrieren.“ Doch zu ernsthaften Problemen führt das nicht. Die beiden sehen die Tage eher als Urlaub mit spielerischer Auseinandersetzung an. „Die Rallye-Leitung versucht, die Navigatorinnen und Navigatoren ein wenig unter Stress zu setzen und zu Fehlern zu verleiten“, sagt Veranstalter Markus Rühle beim Mittagessen in Grindelwald und schmunzelt. „Sonst wäre das eine langweilige Veranstaltung“. Kleine Kabbeleien zur Auflockerung also?

Am Nachmittag bietet sich auf dem großen Parkplatz der „Männlichen-Bahn“ vor der sonnenbeschienenen Eiger-Nordwand Gelegenheit zur Beobachtung. Wie auf einem großen Spielplatz steht nun ein Parcours mit vier Stationen bevor. Ruedi, ein freiwilliger Helfer, der schon fast alle mit Vornamen kennt, weist das Teilnehmerfeld in Reihen zur Aufstellung ein. Wartezeit gibt’s nun genug, um auszusteigen und die Konkurrenten ausgiebig zu beäugen. Ein junger Mann mit eintätowiertem Ferrari-Hengst über dem Knöchel späht genau aus, wo was zu tun ist; ein anderer schiebt lässig telefonierend den Wagen voran; ein weiterer gibt seiner Freundin einen Klaps auf den Po. Kurzum – ein harmonisches Bild. Doch an den einzelnen Spielfeldern sieht das schon wieder anders aus. Mit möglichst geringem Abstand zwischen zwei Stangen durch zu fahren ist die leichteste Übung. Gleich dahinter werden Männer als Einparkhilfen auf die Probe gestellt, was einige Fahrerinnen auf die Palme bringt. Exakt mit einem Meter Abstand zum Hindernis muss der Wagen zum Stehen kommen, nur ein Versuch ist möglich. Der Beifahrer eines Jaguar E-Type steht mit den Knien auf dem Sitz und gestikuliert wild umher, anstatt den Abstand anzusagen. Zu einigen Schrauben die passenden Muttern finden kann er schon besser, allerdings macht ihn der Zeitdruck sichtlich nervös. Doch der Gleichmäßigkeitsslalom erfordert einige Simultankapazitäten. Das Ziel orten, mit dem ausgestreckten Finger den Weg weisen, die Stoppuhr bedienen und runterzählen. Da wünschen sich einige Herren, am Steuer zu sitzen. „Einmal im Jahr macht das Spaß, und meine Frau fährt wirklich gut“, meint Hans-Peter Blandow. Eine weitere, sportliche Oldtimerrallye, die Ennstal Classic, wird er mit seinem Rallyefahrzeug NSU Prinz nebst seiner Frau Verena in diesem Sommer selbst fahren. Stress gibt es bei dem eingespielten Profiteam so gut wie nie. Allerdings bei anderen. So scheiden sich einige Stunden später die Geschlechter, als nach einem Navigationsfehler das Wendemanöver ansteht. „Noch einmal sowas, und dann fährst Du!“ lautet die klare Drohung der Fahrerin eines Zweisitzer-Cabriolets. Mit dem Fahrerwechsel wäre für den Herrn das Problem wahrscheinlich gelöst, für das Paar die Fahrt jedoch zu Ende, denn ein Mann am Steuer hat die Disqualifizierung zur Folge. Die Hälften des Paares wurden abends böse dreinschauend an weit voneinander entfernten Tischen gesehen.

Der zweite Rallyetag beginnt früh und sonnig. Ohne, dass vom Vortag Ausfälle – welcher Art auch immer – zu verzeichnen sind, stehen die Autos inklusive gut gelaunter Insassen aufgereiht vor dem noblen Grand Hotel Victoria-Jungfrau und warten auf den Start. Touristen aus aller Herren Länder, holländische Fußballfans und Oldtimerfreunde schreiten die Promenade ab. „Fahren hier wirklich nur Frauen mit?“ fragt ein Passant. „Die zicken sich doch sicher nur an!“ Und schon ist die Debatte entfacht. „Vielleicht ist es eine geschlechterspezifische Angelegenheit“, mutmaßt Zaungast Fredi Daumüller, Direktor des imposanten Hotels und Oldtimerliebhaber. „Wenn man die gleiche Augenhöhe bei Themen wie Technik oder Design hat, erleichtert das die Kommunikation.“ Damenteams funktionieren also möglicherweise besser als gemischte. Tina Gorschlüter, Fahrerin eines zu gewinnenden Triumph TR6 der Oldtimerspendenaktion der ‚Lebenshilfe Gießen’, kann die Theorie nicht bestätigen. „Ich glaube, dass Männer besser lotsen können“, meint sie. Sie sollte es wissen, fährt sie doch seit über 20 Jahren bei Oldtimerausfahrten und -Rallyes mit, und seit fünf Jahren die wertvollen Losgewinne aus. Mit stets wechselnden Beifahrern. Vom Ehemann über Arbeitskollegen bis hin zu wildfremden Journalisten hat sie schon viele Navigtoren ausprobiert. „Wichtig ist, dass ich mich durch verbissenen Ehrgeiz und Beifahrerfehler nicht aus der Ruhe bringen lasse, dann färbt das auch positiv auf die Gesamtstimmung ab.“ Und bei Ruedi’s „drei, zwei, eins, gute Fahrt!“ startet sie durch zur letzten Tagesetappe.

Ins Ziel kommen tatsächlich alle mit strahlenden Gesichtern, intakten Beziehungen und manche mit Kühlwasser verlierenden Autos. Die ersten drei Plätze belegen Teams mit männlichen Co-Piloten.

copyrightRenateFreiling2008