Montag, 31. März 2008

Techno Classica

Veröffentlicht auf WELT ONLINE am 28. März 2008

Autos für’s Ansehen

Was Prada, Escada oder Dior für die Modewelt darstellen, sind Bentley, Mercedes oder Ferrari im Universum der Automobile. Das Ansehen einer Marke macht das Produkt zum Statussymbol - auch bei alten Autos. Das ist den Entscheidern der Automobilindustrie durchaus bewusst, und so zeigt man auch in der Oldtimer-Szene gerne, was man hat. Auf der weltgrößten Klassiker-Messe Techno-Classica in Essen präsentieren sich manche Marken schon seit 20 Jahren, andere erst seit heute.

Da wird gefeilscht, gefachsimpelt und gelacht. In den Hallen der Messe Essen tummeln sich Tausende Oldtimer-Liebhaber aller Generationen. Edel betuchte Millionäre spazieren neben hemdsärmeligen Schraubern, griesgrämig dreinschauende Frauen laufen hinter strahlenden Alt-Rockern her. Am Stand des Hamburger Oldtimer-Händlers Thiesen ist das Angebot an Luxus-Oldtimern groß. „Das ist für mich das Highlight des Jahres“, sagt Peter Nagel, ein Sauerländer Sammler, der sich einen zum Verkauf stehenden Bentley ansieht. „Ich bin mit meinen anderen Oldtimern sehr zufrieden - und habe bereits mehr als genug davon. Doch einen Bentley Continental aus den 50ern hätte ich noch ganz gern.“ Die Techno-Classica ist DIE Messe der gesamten Young- und Oldtimerszene. Hier präsent zu sein gehört einfach zum guten Ton. Ob für die Automobilindustrie, die Clubs oder die Peripherie mit ihren Lifestyleprodukten, Dienstleistungen und Ersatzteilen.

So ist Bentley Motors zum ersten Mal in der 20jährigen Geschichte der mittlerweile weltgrößten Messe mit einem eigenen Markenstand dabei. Raritäten aus dem Motorsport, der Bentley Blower aus dem Jahr 1930 und der Le Mans Sieger 2003 Bentley Speed Eight, stehen neben den neuen Serienmodellen. Die edlen Materialien der Innenausstattung liegen zum Anfassen aus und die Verarbeitung wird von zwei Mulliner-Mitarbeitern aus der Bentley-Abteilung für Sonderbauten demonstriert. Standesgemäß zeigt sich die Crew ebenfalls todschick: Die Jungs am Bentley-Stand tragen beigefarbene Overalls im Retro-Look der Bentley-Boys, dazu blaue Krawatten mit weißen Punkten, ganz wie früher. Die englische Manufaktur aus der Kleinstadt Crewe hat eine fast 90 Jahre alte Tradition. Walter Owen Bentley, kurz W.O., begann 1919, einen Sportwagen mit einem 3-Liter-Vierzylinder-Motor, Aluminiumkolben, obenliegender Nockenwelle, Doppelzündung und 4 Ventilen pro Zylinder zu entwickeln. Eine damals revolutionäre Technik, mit der der 3-l-Bentley 1924 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann. Um W.O. scharte sich eine Gruppe von rennsportbegeisterten Gentlemen, die fortan unter dem Namen „Bentley-Boys“ bekannt wurden. Tim Birkin, Woolf Barnato, Dudley Benjafield oder Bernhard Rubin waren die wohl bekanntesten, die sich in den 20er Jahren waghalsige Gefechte gegen den Rivalen Mercedes lieferten.

Der seit zehn Jahren dem Volkswagen-Konzern angegliederte Hersteller feiner Luxuskarossen schlägt mit seinem Auftritt die Brücke von der Tradition zur Moderne. Denn die Markentreue von Oldtimer-Liebhabern zeigt auch für das Neuwagengeschäft gute Perspektiven auf. „Für uns ist die Oldtimerszene eine wichtige Präsentationsplattform, das Interesse der Öffentlichkeit an Bentley ist im letzten Jahrzehnt enorm gewachsen", erklärt Reiko Käske, PR- und Kommunikationsmanager von Bentley Motors Ltd. "Die reiche Markengeschichte stellt für Oldtimerbesitzer eine emotionale Verbindung zu einem neuen Bentley her, der mittlerweile auch als Wertanlage gesehen wird. Unsere Kunden identifizieren sich mit der Marke - und investieren."

Auch beim früheren Bentley-Rivalen Mercedes-Benz stehen legendäre Rennwagen und exklusive Prestigeautos auf der 4000m² großen Ausstellungsfläche. Die gesamte Baureihe der Mercedes SL bis heute, ein frühes Prestige-Auto aus dem Baujahr 1904: der Mercedes-Simplex, und ein Mercedes SS, rennsportlicher Zeitgenosse des Bentley-Blower. Dazu diverse Vorzeigeexemplare der 16 Mercedes-Clubs und eine Rohkarosse eines 600ers W 100.

Das Traditionsbewusstsein ist bei Mercedes-Benz schon lange ausgeprägt. Bereits 1989 auf der ersten Techno-Classica waren die Stuttgarter dabei. „Damals standen bei uns noch Usambaraveilchen auf den Tischen. Doch inzwischen haben wir einen markengerechten Auftritt“, erzählt Dr. Josef Ernst, Leiter der Traditions-PR der Daimler AG. „Traditionspflege bedeutet für Mercedes-Benz, den roten Faden von den Anfängen bis heute aufzuzeigen.“ Mercedes-Benz hat drei Themen in den Mittelpunkt der Messe gestellt. Die Geschichte und Modellpflege des SL, Nachhaltigkeit und Effizienz der Automobiltechnik und das 120jährige Jubiläum der spektakulären Berta-Benz-Fahrt von Mannheim nach Pforzheim. „Wir brauchen keine guten Geschichten zu erfinden, wir haben eine große Geschichte und setzen sie fort“, so Dr. Ernst.

Mercedes war neben BMW die erste Automarke, die sich von Beginn an auf der Messe ihre interessante Historie zunutze machte, um das Markenprofil zu stärken. Mit Erfolg.

Die Begeisterung für eine Marke überträgt sich auch auf Neuwagen. Professor Dr. Willi Diez, einer der renommiertesten deutschen Wirtschaftswissenschaftler, seit 1991 Professor an der Fachhochschule Nürtingen im Studienzweig Automobilwirtschaft und seit 1995 Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, hat das Ergebnis fundierter Forschungsarbeiten auf den Punkt gebracht: „Marken, die auf eine lange Tradition und interessante Geschichte verweisen können, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil“.

Informativ, unterhaltsam und attraktiv inszeniert sind die Klassiker für die Automobilindustrie ein Image-Generator. Begleitet von den teilweise abenteuerlich gestalteten Club-Auftritten bietet sich dem Messe-Besucher ein buntes Bild der Markenwelt.

So stürmen denn auch immer mehr Autonarren von Jahr zu Jahr das Essener Messegelände, über 154.000 Besucher erwarten die Veranstalter an diesem Wochenende. Mit sehnsüchtigen Augen werden die Preziosen bestaunt, mit Digitalkameras fotografiert. Für viele bleiben die Prestige-Autos und Raritäten ein unerfüllter Traum aufgrund utopischer Preise. Doch es geht auch anders. „Den Mercedes da vorne kömma’ gewinne“, ruft eine Kinderstimme aus der Menge. Und so steht eine riesige Menschentraube am Stand der Lebenshilfe Gießen, die jährlich etwa fünf Klassiker in einer Spendanaktion verlost.

Unterm Strich scheint die Rechnung der Hersteller von Prestige-Objekten aufzugehen: Bentley Motors verzeichnete 2007 eine Steigerung des Gesamtabsatzes um 7% und verkaufte über 10000 Autos (vor fünf Jahren waren es noch rund 1000!); der Papst fährt wieder Mercedes: in zweijähriger Entwicklungsarbeit mit dem Vatikan entstand das neue Papamobil, ein Mercedes-Benz auf der Basis des G 500 in vatikanischem Mystikweiß, das bereits seit Dezember auf dem Petersplatz von Papst Benedikt XVI eingesetzt wird.

copyrightRenateFreiling2008

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