Mittwoch, 24. September 2008

creme 21 youngtimer rallye


Wüstenwind über Usedom

Mit Scirocco & Co durch Neue Bundesländer


In Templin herrscht große Aufregung. Hunderte Zuschauer aller Generationen treiben sich seit über einer Stunde auf dem historischen Marktplatz herum. Ein mahnender Fingerzeig auf die Armbanduhr ragt plötzlich aus der Menge. „Noch 10 bis 15 Minuten“, vertröstet der Moderator, der auf der kleinen Bühne zwischen Wurst- und Bierstand steht, schon zum dritten Mal. „Da, ein Porsche und ein Opel Commodore!” ruft einer der Umstehenden überrascht. Und dann folgen, Stoßstange an Stoßstange, die restlichen 113 Starter der „Creme 21 Youngtimer Rallye 2008”.

Die in Fachkreisen kurz „Creme“ genannte Veranstaltung überflog am letzten Wochenende die hügeligen Landschaften Nordost-Deutschlands. Die Strecke führte von Helmstedt über Templin und Usedom nach Berlin. Unter den Fahrzeugen aus den Jahren 1966 bis 1988 rangierten neben historischen Alltagsautos wie Ascona, Bulli und Käfer auch Exoten wie Opel Diplomat und Lamborghini Countach. Alles, was der Generation um die 40 aus Zeiten der Prilblümchen und Batik-T-Shirts noch bekannt ist, wird hier zum Thema gemacht. Schrill wie das Orange der bekannten Cremedose ist daher das Programm. Die sportlichen Aufgaben beinhalten – im Gegensatz zu herkömmlichen Rallyes – keine zeitlichen Fahrprüfungen. So gilt es etwa, Rätsel zu lösen, Creme-Dosen zu stapeln oder Gedichte aufzusagen. Dies allerdings mit laufender Stoppuhr. An den vier Tagen haben die Pilotinnen und Piloten dennoch viel Zeit für Land, Leute und Fahrspaß. Mit einem 78er Scirocco aus dem ZeitHaus, dem Museum der Autostadt Wolfsburg, sind wir also unter Gleichgesinnten.


Als unser viperngrünmetallicfarbener GT der ersten Generation am Bierstand zwischen den Zuschauern vorfährt, wird applaudiert. Das nach dem heißen, afrikanischen Wüstenwind benannte Sportcoupé ist offenbar bekannt, auch wenn es im Brandenburg der Siebziger eher selten gesehen wurde. Ab 1974 wurde es von Designer Giorgio Giugiaro als Nachfolger des Karmann Ghia entwickelt und parallel zum Golf I in Osnabrück gebaut. Unser Modell hat eine sportliche Form, ist komfortabel und mit 12.915 DM bezahlbar. Kein Wunder also, dass in den ersten sieben Baujahren über eine halbe Million des Volks-Sportwagens vom Band liefen. Die zweite Generation von 1981 bis 1992 folgte unmittelbar und ist im Rückspiegel zu sehen. Hinter uns drängelt das Sondermodell „White Cat“ von 1985, ein Scirocco „Tropic“ ist auch schon vorgefahren. Sie alle freuen sich bereits auf die Tagessiegerehrung. „Hier gibt es sogar einen Preis für den 21. Platz“, lacht ein Wiederholungstäter im wild gemusterten Hemd und mit Afro-Perücke, der zum fünften Mal mitfährt, und schon sein Begrüßungsbier in der Hand hält.



Am nächsten Morgen führt die erste Tagesetappe von Templin nach Groß-Dölln zum Driving Center. Die laufenden Motoren hüllen den Hotel-Plattenbau mit Wohlfühlwelt in blauen Dunst und Motorenlärm. Wir können es kaum erwarten, auf dem ehemaligen russischen Militärflughafen Runden zu drehen und Prüfungen zu bestehen. Denn dort wird eine Ausnahme zum herkömmlichen Rätselspaß gemacht. Es darf Motorsport geübt werden. Wir schwingen uns in die zur Lackierung passenden grün-karierten Sitze unseres Spaßautos und stürmen Richtung Fahrtrainingscenter.

Die Nasshandling-Strecke ist bereits bestens frequentiert. Felix Hertel reizt seinen matt-oliv-farbenen 560er Mercedes richtig aus. Selbst auf nasser Fahrbahn qualmen die Reifen. „Das neu optimierte Fahrgestell muss ich erst mal testen“, sagt der Hamburger Transformer-Fachmann und gibt wieder Gas. Einen Kilometer weiter müssen bei einer Gleichmäßigkeitsprüfung zwei Runden in gleicher, selbst zu bestimmender Zeit absolviert werden. Wir nehmen die Runden souverän mit 65 Stundenkilometern in stabiler Kurvenlage. Als uns eine VW Doppelkabine in der zweiten Runde die Sicht versperrt, setzen wir in einem kurzen Sprint zum Überholen an und fliegen pünktlich über die Lichtschranke.


Weiter geht die Fahrt durch Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Küste. Der Wüstenwind liegt sicher und fest auf der Straße, obwohl diese sich wellt wie ehemals das Tapetenmuster in meinem Jugendzimmer. Am Ortsrand von Jarmen angekommen, lauert in einem kleinen Privat-Museum die nächste Herausforderung: fünf Rallye-Aufkleber zu suchen, in einer zweihäusergroßen Ansammlung von DDR-Relikten der skurrilen Art. Schulhefte, Eierbecher, Kaffeemaschinen, Badehauben, Spinnweben und Gasmasken versperren die Sicht. In den authentischen Wohn- und Kinderzimmern schließlich werden viele Teilnehmer sogar fündig. Wir nicht.

Also versuchen wir uns, dem Gegenwind zum Trotz, der Küste zu nähern. Ungeachtet unseres flotten Fahrstils quälen sich immer wieder andere Teilnehmer mit schnelleren Autos und bunteren Brillen an uns vorbei. Andere scheinen zu schweben, wie ein Opel Diplomat, mit dem Baujahr 1966 der Älteste der Boliden. Abends an der Hotel-Bar im Ostseebad Zinnowitz werden die feinen Unterschiede aufgeklärt. „Mit 230 PS und 206 kmh Höchstgeschwindigkeit war er damals das schnellste deutsche Serienauto“, erklärt Fahrer Sebastian Schonauer vom Rallyepartner AvD. „Gegen den 85PS-Scirocco mit 172 kmh Höchstgeschwindigkeit kann er ja ganz gut mithalten“, erwidere ich selbstbewusst.

Nach einem kurzen Besuch am windgepeitschten Strand der Insel Usedom kehrt die Youngtimer-Polonaise der Küste den Rücken. Schon bald werden die Autos zur ersten Prüfung heraus gewunken. Die Warteschlange ist lang und ein Ford-Consul-Fahrer peppt mit Prosecco-Dosen aus seinem Kofferraum die Pausengespräche auf. Am Kontrollpunkt stellt ein Helfer einen Ghettoblaster ins Auto und spielt die Titelmelodien von Serien ab. Aus einigen Autos hört man Gesang, aus anderen Rufe wie „Bonanza!“ Nicht Singen, Titel-Raten und „Weiter“-Sagen ist gefragt, als wir an der Reihe sind.

Am Flughafen Berlin-Tempelhof angekommen, haben sich trotz herbstlichem Wetter und fehlendem Bierstand viele Schaulustige versammelt, um die Youngtimer zu begrüßen und Benzingespräche mit den Besitzern zu führen. Unser Scirocco ist auch hier wieder gern gesehen. „Schade, dass Sie schon wieder wegfahren“, sagt ein Betrachter mit Blick auf die Rücksitzbank. Das finden wir auch. Doch zum Glück war das nicht die letzte Creme und ist dies nicht der letzte Scirocco.


Tipp:

Das Buch zum Auto: Scirocco. ISBN-Nr. 978-3-935112-33-5



Text- und Bildrechte: Renate Freiling

Donnerstag, 4. September 2008

Sachsen Classic 2008


Unterwegs im Land der Autopioniere

Begegnungen auf der Sachsen Classic 2008

„Da kommt wieder einer!“ tönt es laut dem heran nahenden Renault 16 TL entgegen. „Schnell ducken!“ Was sich nach Versteckspiel anhört ist eher das Gegenteil. Rückenbeuge, Arme nach vorn, Oberkörper aufgerichtet – einer nach dem anderen - und lang die Hände in die Höhe gestreckt. La Ola - eine Welle vom Feinsten, die acht sächsische Dorfbewohner dem 33 Jahre alten Franzosen sportlich entgegenbringen. Die Oldtimer-Rallye „Sachsen Classic“ rollt übers Land und treibt das autofreundliche Völkchen auf die Straßen. Egal welcher Marke oder Herkunft, die 186 Oldies werden bejubelt, bestaunt und gefeiert im automobilhistorischen Pionierland.

Bewegende Momente der 6. Sachsen Classic sind nicht nur die Begegnungen mit der sympathischen Bevölkerung des schönen Bundeslandes, die mit ihren eigenen Oldtimern, Kindern und Grill-Ausrüstungen die 669 Kilometer idyllischster Landstraßen säumt. Die drei Tage dauernde Rallye, alljährlich veranstaltet vom Oldtimer-Magazin Motor Klassik in Zusammenarbeit mit Volkswagen, führt vorbei an den bedeutenden Orten der sächsischen Automobilgeschichte. Vom August Horch Museum in Zwickau über die ehemalige WM-Rennstrecke Sachsenring und durch das Skoda-Land Tschechien bis hin zur heutigen Produktionsstätte des VW Phaeton, der Gläsernen Manufaktur in Dresden.

Treffpunkt für Benzingespräche ist an den ersten beiden Tagen der Zwickauer Platz der Völkerfreundschaft. Der Name ist Programm. Einheimische Autofans und internationale Touristen tummeln sich vor dem Start zwischen den bunt glänzenden, vierrädrigen Stücken und fachsimpeln mit den Eigentümern. Wenn die Sprachkenntnisse nicht ausreichen, wird mit Händen und Füßen gearbeitet. Stolz hebt Jens Vogt, Besitzer eines giftgrünen Melkus RS 1000 GT, die hintere Hälfte seines Wagens an und präsentiert den 1-Liter-Reihendreizylinder-Motor mit 85 PS. „Das Auto ist trotz des Baujahres 1982 eigentlich funkelnagelneu“, erzählt Vogt, Inhaber eines Autohauses im gleichnamigen Vogtland. „Er wurde nur 15 Mal originalgetreu nachgebaut.“ Die Rennwagen-Manufaktur Melkus in Dresden baute vom damaligen „Zonen-Ferrari“ auf Wartburg-353-Basis 101 Stück von 1969 bis 1979. Gründer Heinz Melkus war nicht nur Fahrzeugbauer, sondern auch Rennfahreridol der DDR. „Mit dem Auto habe ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt“, freut sich Jens Vogt und erklärt die Details. „Die Rücklichter sind von einem Traktor ZT und die Türschlösser vom Trabant. Man konnte im Osten nur mit den Teilen bauen, die man hatte.“ Automobilbau und Fahrzeugentwicklung gingen trotz eingeschränkter Mittel voran. Denn die Motorsportbegeisterung der Sachsen ist nicht zu bremsen. Familienbetrieb Melkus arbeitet schon an einem Nachfolgemodell des seltenen Flügeltürers.

Die erste Etappe führt zum nahegelegenen Sachsenring. Als der erste Oldie eintrifft, wartet bereits fotografierfreudiges Publikum auf den Tribünen. Alle Rallyefahrzeuge, von der 1903 erbauten Oldsmobile-Kutsche über den Bauarbeiter-Bulli bis zum 1988er Trabant Cabrio, dürfen die 81 Jahre alte Rennstrecke bei Hohenstein-Ernstthal und Oberlungwitz ausprobieren. Schon im Jahre 1927 fanden hier Motorradrennen statt – allerdings mit anderem Streckenverlauf als dem jetzigen, der nur noch 3,7 Kilometer lang ist. Voller Elan steuert Bernd Rosemeyer, Sohn des gleichnamigen Rennsporthelden, einen Jaguar XK 120 C drei Runden lang um die je 14 Kurven. Rosemeyer senior bestritt ab 1934 als Werks- und Rennfahrer der Zwickauer Auto Union Grand-Prix-Rennen. Die schon 1932 zusammengeführten Unternehmen der Marken Audi, Horch, DKW und Wanderer entwickelten damals in einer neuen Rennsportabteilung den legendären Silberpfeil. „Nachdem mein Vater 1938 bei einer Weltrekordgeschwindigkeit von 440 Stundenkilometern verunglückte, fuhr ich als kleiner Junge mit seinem Lieblingsonkel schon einmal auf dem Nürburgring“, berichtet der Orthopäde nach der Zieleinfahrt. „Aber für stressige Zeitmessungen habe ich nicht allzu viel übrig, mir machen die Autos Spaß.“ Rosemeyer junior wurde erst vor fünf Jahren von Gerd-Rüdiger Lang, dem Inhaber der Uhrenmanufaktur Chronoswiss auf den Oldtimer-Geschmack gebracht. Seitdem fahren die beiden Rallyes, bei denen Rosemeyer öfters angesprochen wird. „Hier fuhr mein Bruder zu DDR-Zeiten Rallyes“, erzählt ihm ein Rennsportfan, der sich von Rosemeyer gerade ein Autogramm geben lässt. „Er war Ingenieur und Werksfahrer bei der VEB Sachsenring, ähnlich wie Ihr Vater“. Im ehemaligen Horch-Werk, der Geburtsstätte von Audi, begann man 1957 unter dem Namen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau mit der Serienproduktion des Trabant. Über drei Millionen des kleinen "Weggefährten" wurden bis 1991 gebaut. Die Rennpappe ist auf der Sachsen Classic mit einem offenen Prototypen vertreten, der baujahrbedingt mit der letzten Startnummer das Schlusslicht der Oldtimer-Kette darstellt.

Nach kurzem Bettenstopp in Bad Schandau macht sich am Samstag der erste Starter bereits um 8:01 h auf den Weg nach Tschechien und Polen. Im Nationalpark Böhmische Schweiz kommt die Reihenfolge wild durcheinander. Die abenteuerliche Fahrt durch enge Schluchten und über schmale Wege geht nur langsam voran. Nicht nur, weil der Märchenwald einlädt, aus dem Fenster zu spähen. Manch ältere Modelle schaffen die Steigungen nur mit schleppender Unterstützung. Hektik gar bricht aus, nachdem ein Bus auf einer einspurigen Straße einem 72er Chrysler Imperial begegnet, der etwa gleich breit ist. Endlich geht es nach langem Rangieren zügig weiter. Flugs durch Tschechien, wo besonders für den vielfachen Rallye-Meister Matthias Kahle im Skoda 1100 Coupé applaudiert wird, zurück nach Deutschland und dann ein kurzer Ansturm auf den polnischen Zigarettenmarkt. Schnell wieder das Land verlassend eilt das rollende Museum weiter.

So, wie sich die Zuschauer in Gruppen am Straßenrand scharen, bilden sich auch unter den Oldtimern ganze Rudel, bei denen oft der Langsamste vorn ist. Im letzten Trupp hat man’s besonders eilig und der Hintermann drängelt. In einer aufgewirbelten Staubglocke kommt der Renault im voll besetzten „Autokino“ einer Rechtskurve zum Stehen. Der dicht nachfolgende giftgrüne Flitzer zischt vorbei. Langsam taucht aus der sich auflösenden Wolke ein Mensch mit Fotoapparat auf. „Ich warte schon den ganzen Tag auf den Melkus“, schimpft er. „Jetzt haben Sie mir das Foto vermasselt.“ Die anderen etwa 20 Zuschauer können sich vor Lachen kaum auf den Campingstühlen halten. „Dann fotografierst Du halt den nächsten“, ruft einer aus der Menge und hebt automatisch seine Arme, die das Grußbanner hochhalten, als ein echter Ferrari vorbeifährt. So sind die Leute im Autoland Sachsen, sportlich und stets gut gelaunt.

Bei der Siegerehrung in der Gläsernen Manufaktur in Dresden standen Matthias Kahle und Peter Göbel vom Skoda-Team auf dem dritten Platz, das flotte Trabi-Cabrio landete auf Platz 12. Der Melkus hatte zwar Probleme mit dem Regler, kam aber trotz Behinderung immerhin auf Platz 77. Der Renault 16 besetzte den 93. Platz, Rennfahrer-Sohn Rosemeyer schließlich traf den 100. Sieger war der Italiener Luciano Viaro mit seiner blinden Beifahrerin Alessandra Inverardi mit einem Lancia Stratos aus dem Jahr 1974.

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