Dienstag, 27. Mai 2008

ADAC Bavaria Historic 2008

Getrunken wird nach Feierabend - Bierlaster und andere Nutzfahrzeuge auf der Bavaria Historic 2008

Von Alkohol hinterm Steuer wird ja eigentlich abgeraten. Doch auf der dreitägigen Oldtimer-Rallye „ADAC Bavaria Historic“ am letzten Wochenende war genau das die Sensation. Der VW-T2-Pritschenwagen mit einer Ladung Bierfässer hinter der Fahrerkabine wurde vom Publikum am Streckenrand bejubelt, beklatscht und angelacht. Und war sogar bis zum Schluss noch gut im Rennen.

Die Rundumsicht ist perfekt, keine dicken Säulen, die stören, und wir sitzen hoch oben auf der Bank wie auf einem Kutschbock. In der „T2 Pritsche“ ist Platz für drei Bierkutscher, für die Rallye jedoch reichen zwei. Bestens vorbereitet und organisiert breiten wir die nötigen Utensilien auf dem mittleren Sitz aus. Die Stoppuhren auf die nächsten Sollzeiten eingestellt, das Roadbook, das die Straßenführung wie ein analoges Navigationssystem vorgibt, auf der Startseite aufgeschlagen, Bordkarten und Getränke zurechtgelegt und den Kugelschreiber hinterm Ohr. Nach kurzer Einweisung eines Profi-Betreuers aus dem Oldtimerstall des Unternehmens VW Nutzfahrzeuge und etwas Übung wissen wir wieder wie’s geht, einen Transporter zu steuern. Der Fahrer tritt die Pedale von oben nach unten durch und dreht und schiebt das Lenkrad wie einen großen Suppentopf auf dem Herd herum. So eingenordet können wir mit unserem Nutzfahrzeug an den Start gehen. Im unmittelbaren Starterumfeld befinden sich eine T1 Doppelkabine des Jahres 1964, ein Vorläufer unseres Modells und typischer Bauarbeiterbus, sowie eine „Rennsemmel“ BMW 600.

„Die müssten eigentlich zu schlagen sein“, meint der rallyeerfahrene T2-Pilot. Immerhin gilt es nicht, als erster im Ziel zu sein, sondern in einer Gleichmäßigkeitsfahrt nach vorgegebener Strecke und Geschwindigkeit an den Etappenzielen Punktlandungen hinzulegen. Das dürfte selbst für einen ungelenk scheinenden Bulli kein Problem sein.

Als der VW Bus T2 vor 40 Jahren als zweite Generation des VW-Transporters auf den Markt kam, waren im Vergleich zum Vorgänger weitreichende Verbesserungen eingeflossen: die größere, nicht mehr geteilte Scheibe, eine Schiebetür und ein stärkerer Motor, um nur einige der Modernisierungsmaßnahmen zu nennen. Beinahe jährlich flossen Neuerungen ein, wurden Details noch optimiert. Unsere Bierpritsche ist eine Version aus dem Jahre 1971 mit einem 1,6l- und 50 PS-Motor. Die stabilisierende Doppelgelenk-Pendelachse hinten und die verbesserte Federung vorn bieten im Vergleich zu unseren Mitstreitern im T1 deutlich bessere Fahreigenschaften. Trotzdem lassen sich die Arbeiter in der Doppelkabine nicht abhängen und treten gerade in den Kurven kräftig aufs Gas. An den bayrischen Hügeln, die erklommen werden wollen, verzweifeln wir zunächst schier, die Leistung des Heckmotors schiebt die 1190 kg nur schwer hinauf. Bergab kommen wir immer wieder in Schwung und holen auf. Zum Glück, denn hier zählt jede Zehntel-Sekunde und die Zeitvorgaben sind hart.

Die als „Mille Miglia von Bayern“ gerühmte und dementsprechend flotte Rallye wird seit 20 Jahren von betagten Renn-, Rallye- und Sportklassikern bestritten, die im bayrischen Alpenvorland rund um Bad Aibling punkten wollen. Die rustikale Veranstaltung für Oldtimerfreunde lockt bereits zum jährlichen Auftakt an Fronleichnam 3000 Oldtimerbesitzer an, die ihr Fahrzeug bewundert sehen möchten. Dazu herrscht Volksfeststimmung am Schloß und Brauerei Maxlrain, wenn die ca. 150 Teilnehmer zur Mangfall-Etappe aufbrechen. An den folgenden zwei Tagen erstürmt das Feld die östlichen Voralpen mit sportlichem Höhepunkt auf dem Salzburgring. Die bayrische Bevölkerung platziert sich in der Stadt und auf dem Land dankbar an den Straßen, um dem Spektakel – zumindest mit den Augen – zu folgen. Neben seltenen automobilen Pretiosen reihen sich auch ehemalige Allerweltsautos wie Opel B-Kadett, BMW 2002 und VW Käfer in die Starterliste ein. Und nun kommt noch eine neue Dimension des Fahrspaßes hinzu: das Rallye-Fahren mit zweckentfremdeten Nutzfahrzeugen. Bei den Ortsdurchfahrten über die Marktplätze von Wasserburg, Kraiburg am Inn und Altötting sind die Bullis eine Attraktion. Zwischen Exoten wie einem Lotus Seven S4, einem Mercedes 190 SLR und dem Lancia Stratos mit dem Mille Miglia Sieger Viaro am Steuer bringen die historischen Pick Ups die Zuschauer zum Schmunzeln und Klatschen. „Das ist Geschichte zum Anfassen“, bemerkt einer der Zuschauer lachend und klopft auf eines der Fässer, „die anderen Autos darf man nur bewundern.“ Das ist das Stichwort. Wir bewundern, wieder aus dem Ort heraus, das Heck der Rennsemmel, die uns überholt hat, und versuchen, dran zu bleiben. Doch schon hinter der nächsten Kurve lauert eine Stoppschild-Kreuzung. Der Kutscher tritt auf das Bremspedal, doch nichts tut sich. Er schaut noch mal in den Fußraum, das richtige Pedal war es doch, oder? Nach mehrmaligem Pumpen kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Das Ende der Etappe ist in drei Kilometern erreicht und wir überfahren gerade noch rechtzeitig, aber langsam, die Ziellinie.

Die Rallyetauglichkeit der historischen Transporter wird von VW Nutzfahrzeuge erst seit kurzem erprobt. Ein Haupteinsatzgebiet für die Oldtimer-Flotte sind die zahlreichen Rallyes, die den Bulli-Kult weiterleben lassen sollen. „Wir haben eigens ein bereichsübergreifendes Heritage-Team gegründet, das sich um unsere Traditionspflege kümmern wird“, erläutert Harald Schomburg, Vorstand für Vertrieb und Marketing bei Volkswagen Nutzfahrzeuge. Diese Bulli-Profis sind nun gefragt. Schnell sind sie vor Ort, haben Ersatzteile parat und reparieren flugs alles, was nötig ist. Da muss das Feierabend-Bier halt noch etwas warten.

Am nächsten Tag geht die Kutsche mitsamt der Ladung bereits wieder auf wilde Fahrt. Die Bremsen wurden entlüftet, ein herausgefallener Außenspiegel montiert und die Scheiben geputzt.

Munter navigieren wir durch Bayern und plaudern auf der fahrenden Bierbank, „Ratschen“ heißt das in Bayern. Doch für lockeren Austausch von Anekdoten ist dies die falsche Veranstaltung. Eine Sekunde nicht aufgepasst und am Abzweig vorbei gefahren, kann viel Zeit und damit Tausende Strafsekunden kosten. Und so passiert es denn auch. Geratscht, Vollbremsung und ein Beinahe-Purzelbaum quer durch die gute Stube. Die Bierfässer hinter mir sind glücklicherweise bombenfest vertaut. Hinüber ist nun die professionelle Beifahrer-Ordnung und damit auch gleich die Orientierung, denn die Seite des Lotsenbuches ist verschlagen, die Stoppuhren verstellt. Dennoch – der Bulli wendet, fährt weiter und nimmt die richtige Fährte wieder auf. Aus der Wertung ist der noch lange nicht.

Am Ende der Veranstaltung sind wir die Nummer 138 von 141 gewerteten Fahrzeugen.

Steckbrief VW T2

Motor: Vierzylinder Boxer (Heck)

Hubraum in ccm: 1584, 1679, 1795, 1970

Leistung in PS bei U/min: 47 bei 4000 bis 70 bei 4200

Höchstgeschwindigkeit: 100 bis 130 km/h

Produktionszahl von 1967 bis 1979: 3 000 000

copyrightRenateFreiling2008