Sonntag, 20. Juli 2008

Männer, die daneben sitzen


Männer, die daneben sitzen

Bei der Jungfrau-Rallye in der Schweiz dürfen nur Frauen ans Steuer. Dort stellt sich heraus, ob Männer gute Co-Piloten sind – und ob die Beziehung rallyetauglich ist.

veröffentlicht in der Berliner Morgenpost am 28. Juni 2008 und auf WELT online am 2. Juli 2008

„Acht, sieben, sechs, – schneller, schneller!“ Es geht steil die schmale Straße hinauf, das Bergmassiv der über 4100 Meter hohen Jungfrau im Hintergrund. Susanne tritt gemächlich auf das Gaspedal, Ulrich schreit gegen den Motor an und fuchtelt mit den Armen. „Nicht so langsam, Susanne!“ Oben angekommen rollt der Mercedes 190 SL ruhig durch die Lichtschranke und stoppt beim Streckenposten. „Exakt 8 Sekunden für 50 Meter, wie vorgegeben, super“, sagt dieser und trägt die Zahl in seine Unterlagen für die Wertung ein. Ein kurzes „siehst Du!“ von Susanne, und Ulrich sagt kleinlaut den nächsten Abzweig „nach 800 Metern rechts“ an. Einer der harmloseren Dialoge, die bei der Schweizer Jungfrau-Rallye am letzten Wochenende zu hören waren. Denn dort hatten die Frauen das Steuer fest in der Hand, Männer wurden auf die Beifahrersitze verbannt.

4158 Höhenmeter hat die Jungfrau, die sich im Hintergrund in den strahlend blauen Himmel erhebt, ein paar mehr an Kubikzentimetern hat der Jaguar E-Type, der sich vor der Rugen-Brauerei bei Interlaken in die Starterreihe stellt. Einparken darf noch der Mann, doch nach dem Start müssen sich Frauen als Rallye-Fahrer und Männer als multitaskingfähige Co-Piloten bewähren. An zwei Tagen kundschaften etwa 80 Teams mit ihren frisch polierten Karossen der Baujahre 1930 bis 1979 die sommerliche Berg- und Hügellandschaft des Berner Oberlandes aus. Etwa zwei Drittel der Blechbüchsenbande sind mit männlichen Co-Piloten besetzt. Darunter Profis, Stammgäste und Anfänger, die das Grundwissen der Rallyewelt erfahren wollen. Über rund 240 Kilometer Nebenstraßen führen die Routen, die auf 10 Meter genau ausgemessen und in einem Bordbuch für die Navigation dokumentiert sind. Unterbrochen werden die einzelnen Etappen von Zeitmessungen sowie Geschicklichkeits- und Spaßprüfungen, die nicht nur für Unterhaltung, sondern auch für Beziehungskrisen sorgen können.

Susanne und Ulrich fahren zum zweiten Mal bei der Jungfrau-Rallye mit. „Letztes Jahr waren wir besser“, erzählt Susanne enttäuscht. „Er guckt immer in der Gegend herum und will alles im Griff haben, statt sich auf seine Beifahrertätigkeiten zu konzentrieren.“ Doch zu ernsthaften Problemen führt das nicht. Die beiden sehen die Tage eher als Urlaub mit spielerischer Auseinandersetzung an. „Die Rallye-Leitung versucht, die Navigatorinnen und Navigatoren ein wenig unter Stress zu setzen und zu Fehlern zu verleiten“, sagt Veranstalter Markus Rühle beim Mittagessen in Grindelwald und schmunzelt. „Sonst wäre das eine langweilige Veranstaltung“. Kleine Kabbeleien zur Auflockerung also?

Am Nachmittag bietet sich auf dem großen Parkplatz der „Männlichen-Bahn“ vor der sonnenbeschienenen Eiger-Nordwand Gelegenheit zur Beobachtung. Wie auf einem großen Spielplatz steht nun ein Parcours mit vier Stationen bevor. Ruedi, ein freiwilliger Helfer, der schon fast alle mit Vornamen kennt, weist das Teilnehmerfeld in Reihen zur Aufstellung ein. Wartezeit gibt’s nun genug, um auszusteigen und die Konkurrenten ausgiebig zu beäugen. Ein junger Mann mit eintätowiertem Ferrari-Hengst über dem Knöchel späht genau aus, wo was zu tun ist; ein anderer schiebt lässig telefonierend den Wagen voran; ein weiterer gibt seiner Freundin einen Klaps auf den Po. Kurzum – ein harmonisches Bild. Doch an den einzelnen Spielfeldern sieht das schon wieder anders aus. Mit möglichst geringem Abstand zwischen zwei Stangen durch zu fahren ist die leichteste Übung. Gleich dahinter werden Männer als Einparkhilfen auf die Probe gestellt, was einige Fahrerinnen auf die Palme bringt. Exakt mit einem Meter Abstand zum Hindernis muss der Wagen zum Stehen kommen, nur ein Versuch ist möglich. Der Beifahrer eines Jaguar E-Type steht mit den Knien auf dem Sitz und gestikuliert wild umher, anstatt den Abstand anzusagen. Zu einigen Schrauben die passenden Muttern finden kann er schon besser, allerdings macht ihn der Zeitdruck sichtlich nervös. Doch der Gleichmäßigkeitsslalom erfordert einige Simultankapazitäten. Das Ziel orten, mit dem ausgestreckten Finger den Weg weisen, die Stoppuhr bedienen und runterzählen. Da wünschen sich einige Herren, am Steuer zu sitzen. „Einmal im Jahr macht das Spaß, und meine Frau fährt wirklich gut“, meint Hans-Peter Blandow. Eine weitere, sportliche Oldtimerrallye, die Ennstal Classic, wird er mit seinem Rallyefahrzeug NSU Prinz nebst seiner Frau Verena in diesem Sommer selbst fahren. Stress gibt es bei dem eingespielten Profiteam so gut wie nie. Allerdings bei anderen. So scheiden sich einige Stunden später die Geschlechter, als nach einem Navigationsfehler das Wendemanöver ansteht. „Noch einmal sowas, und dann fährst Du!“ lautet die klare Drohung der Fahrerin eines Zweisitzer-Cabriolets. Mit dem Fahrerwechsel wäre für den Herrn das Problem wahrscheinlich gelöst, für das Paar die Fahrt jedoch zu Ende, denn ein Mann am Steuer hat die Disqualifizierung zur Folge. Die Hälften des Paares wurden abends böse dreinschauend an weit voneinander entfernten Tischen gesehen.

Der zweite Rallyetag beginnt früh und sonnig. Ohne, dass vom Vortag Ausfälle – welcher Art auch immer – zu verzeichnen sind, stehen die Autos inklusive gut gelaunter Insassen aufgereiht vor dem noblen Grand Hotel Victoria-Jungfrau und warten auf den Start. Touristen aus aller Herren Länder, holländische Fußballfans und Oldtimerfreunde schreiten die Promenade ab. „Fahren hier wirklich nur Frauen mit?“ fragt ein Passant. „Die zicken sich doch sicher nur an!“ Und schon ist die Debatte entfacht. „Vielleicht ist es eine geschlechterspezifische Angelegenheit“, mutmaßt Zaungast Fredi Daumüller, Direktor des imposanten Hotels und Oldtimerliebhaber. „Wenn man die gleiche Augenhöhe bei Themen wie Technik oder Design hat, erleichtert das die Kommunikation.“ Damenteams funktionieren also möglicherweise besser als gemischte. Tina Gorschlüter, Fahrerin eines zu gewinnenden Triumph TR6 der Oldtimerspendenaktion der ‚Lebenshilfe Gießen’, kann die Theorie nicht bestätigen. „Ich glaube, dass Männer besser lotsen können“, meint sie. Sie sollte es wissen, fährt sie doch seit über 20 Jahren bei Oldtimerausfahrten und -Rallyes mit, und seit fünf Jahren die wertvollen Losgewinne aus. Mit stets wechselnden Beifahrern. Vom Ehemann über Arbeitskollegen bis hin zu wildfremden Journalisten hat sie schon viele Navigtoren ausprobiert. „Wichtig ist, dass ich mich durch verbissenen Ehrgeiz und Beifahrerfehler nicht aus der Ruhe bringen lasse, dann färbt das auch positiv auf die Gesamtstimmung ab.“ Und bei Ruedi’s „drei, zwei, eins, gute Fahrt!“ startet sie durch zur letzten Tagesetappe.

Ins Ziel kommen tatsächlich alle mit strahlenden Gesichtern, intakten Beziehungen und manche mit Kühlwasser verlierenden Autos. Die ersten drei Plätze belegen Teams mit männlichen Co-Piloten.

copyrightRenateFreiling2008

Keine Kommentare: