Sonntag, 20. Juli 2008

Hüter des verlorenen Schatzes


Gralswächter im Park-Verbot

veröffentlicht in der Welt am Sonntag am 15. Juni 2008

Ein Schweizer Autofriedhof mit historischen Raritäten soll nach 75 Jahren geräumt werden. Dabei hat er das Potential, ein Museum zu werden.

Vogelgezwitscher durchdringt die Waldesruhe. Über kreuz und quer wachsende Wurzeln führt der Pfad hinauf auf einen Holzsteg. Vorbei an Bäumen, die aus Kofferräumen wachsen und Farnen, die bemooste Kotflügel hinter sich verbergen. Das Zirpen wird lauter nahe der großen, düsteren Halle. Ein Zugrattern ertönt. Es verhallt wieder, wird gefolgt von einem Motorengeräusch. Doch die unzähligen Autos rundherum fahren nicht mehr, sind mucksmäuschenstill. Hunderte sind es, die hier auf dem 75 Jahre alten Autofriedhof im schweizerischen Kaufdorf ihre letzten Ruheort gefunden haben. Die Geräusche sind die Klanginstallation des Künstlers Herbert Distel. Er ist einer der 23 Künstler, die sich um den Kurator Heinrich Gartentor geschart haben, um in der Nationalen Kunstausstellung den inspirierenden Ort zu bespielen – und damit zu retten.

Grabesstille

Schon seit 1975 regt sich auf dem historischen Teil des Geländes von Messerli’s Autofriedhof außer in Flora und Fauna nichts mehr. Damals wurden die Hallen gebaut und die Parzelle offiziell im Grundbuch als „Autoabbruch“ eingetragen. Dann beließ Franz Messerli die etwa 500 Autos umfassende Sammlung seines Vaters Walter wie sie war, gönnte den Wracks ihre wohlverdiente Ruhe. Doch nun, nachdem Natur und Technik auf dem märchenparkähnlichen Gelände eine harmonische Einheit geworden sind, haben die Schweizer Gerichte ein radikales Ende der Idylle verkündet. Im April 2009 soll das Gelände geräumt und vom Schrott befreit sein. Umwelt- und Grundwasserschutz seien die Begründung, berichtet Franz Messerli, doch nachgewiesen sei eine Verunreinigung des Grundwassers nicht. Messerli führt Besuchergruppen in Rundgängen über das Gelände. „Das hier ist ein Lancia mit Worblaufen-Karosserie von Ramseier, der dem Chef der Berner Sittenpolizei gehörte“. Stolz, aber auch melancholisch, betrachtet er das seltene Stück, dessen bemoostes Verdeckgestänge gleich wirrer Antennen in die Luft ragt. Zu vielen Exemplaren gibt es persönliche Geschichten, die der „Gralswächter“ gerne erzählt. Da fällt es schwer, einer Exhumierung zusehen zu müssen. „Leute kommen und bieten mir 20000 Franken für ein Wrack,“ schmunzelt der freundliche Endfünfziger. „Mit der Bergung würde man rundherum alles zerstören, das will ich nicht.“ Franz Messerli wünscht sich die Ruhe zurück, die hier einmal herrschte.

Kunstpark

Doch die scheint endgültig vorbei. Der Gerichtsbeschluss hat die Gemüter erregt. Eine Lobby hat sich seit dem Jahre 2006 gebildet, die den Friedhof retten möchte. Der Förderverein „Historischer Autofriedhof Gürbetal“ existiert seit Februar 2008, dessen Gönnermitglieder engagieren sich für den Erhalt der Stätte. Daneben begann Heinrich Gartentor, Gewinner des diesjährigen Kunstpreises der Stadt Bern, im Oktober 2007 an der Realisierung einer Nationalen Kunstausstellung zu arbeiten. Das gemeinsame Ziel lautet: Gründung eines Freilichtmuseums mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Am 1. Juni 2008, dem 75. Geburtstag des Messerli’schen Autoabbruchs, war es soweit. Der eigens für die Ausstellung gegründete Kunstverein Gürbetal eröffnete das bis zum 12. Oktober dauernde Spektakel. Heinrich Gartentor kennt sich in dem neu geschaffenen Kunstpark aus, ist es doch „sein“ Projekt. Die Autowracks sind Kunst, Kult und Kulisse. Bunte Spielsachen und Kameras auf eingedellten Autodächern, Mauern auf Autowracks und ein 66 Meter langer, sich durch und über Autos schlängelnder Schlauch sind nur einige der Installationen, die sich um das Thema „Auto“ in unterschiedlichsten kreativen Facetten ranken. „Da vorn hängen beispielsweise diese drei Nistkästen an den Bäumen,“ erklärt Heinrich. Gezwitscher tönt heraus. Doch dann mutiert es zu einem donnernden Motorenlärm. „blue Thunderbird“ heißt die Installation von Dominik Stauch, einem in Berlin und Thun schaffenden Künstler. Ein Stück weiter, auf einem anderen Teil des Friedhofs, zeigt Heinrich auf eine zertrümmerte Windschutzscheibe, eindeutig keine Kunst. „Mit diesem Thunderbird wurde ein Radfahrer überfahren“, weiß er zu berichten. „Der Radfahrer überlebte, aber der Besitzer des Autos wollte seinen Wagen nicht mehr haben.“

Mystik

Heinrich war als Kind mit seinem Onkel in der ganzen Region auf Schrottplätzen unterwegs, um stets irgendwelche Teile zu suchen. „Daher kenne ich auch diesen Platz. Als ich im September letztes Jahr nach langer Zeit wieder hierher kam, brachte mich der Ort sofort auf die Idee, hier die letztmals 1961 ausgerichtete Nationale Kunstausstellung wieder ins Leben zu rufen.“ Eine mystische Ausstrahlung hat der Park auch auf Nicht-Künstler. Im diffusen Licht, das durch die Tannenzweige dringt, leuchten die Grüntöne von Moos, Laub und Farnen in allen Nuancen. Vereinzelte Sonnenstrahlen fallen auf silbrig schimmernde Spinneweben, und chromblitzende Kühler ragen hervor, als ob sie dort gewachsen wären. Es riecht erdig, nach Wald, zeitweise weht Blütenduft von der Lichtung herüber. Die Atmosphäre ist still und doch geladen - mit Geschichten, Emotionen und mit Pietät. Die stillen Winkel mit den Zeugen längst vergangener Tage wecken Fantasie. Wie Gesichter schauen die Schnauzen der Alten aus dem Wald heraus. Sie tragen würdevoll ihre Namen auf den Kühlern. Englische Raritäten liegen unauffällig zwischen amerikanischen Schlitten und italienischen Sportwagen. Die Schweizer Automobilgeschichte spiegelt einen Querschnitt von Importen aus aller Welt wider. Walter Messerli wollte dieses Bild festhalten, so scheint es.

Kulturgut

Bereits im Jahre 1933 begann er, Autos auszuschlachten und umzubauen. Was übrig blieb, landete auf dem Gelände. Messerli sammelte weiter. Der Ersatzteilverkauf war eine gute Einnahmequelle. Doch nicht alles, was brauchbar war, wurde gleich ausgebaut. So ragen denn aus den gut sortierten Wagenreihen noch chromglänzende Außenspiegel hervor, sind noch intakte Scheiben und Scheinwerfer zu finden. Franz’ erste Pläne nach seiner Übernahme 1975, aus dem vom Vater angelegten Autopark ein Freilichtmuseum zu machen, scheiterten. Der umtriebige Alltag verdrängte das Projekt und so liegen sie noch heute da: einzelne Autos aus den 1930er-Jahren, die Mehrzahl aus den 40ern, 50ern und 60ern und noch einige aus den 70ern. Seltene, ausgestorbene Arten wie Wolseley, Hillman und Panhard. Dazu gesellen sich lebende Arten aus Flora und Fauna. „Eine Schmetterlingsart, die eigentlich sonst nur im Tessin zu finden ist, treibt sich hier herum“, erzählt Messerli. „Und dieser Strauch ist eine von sechs Sorten Brombeersorten, die wir hier haben, insgesamt gibt es acht in der Schweiz“. Gartentor fügt hinzu: “Nicht zu vergessen die Schwarzpappeln, in der Schweiz sind sie extrem selten, auch in Deutschland gibt es nur noch etwa 3000 Exemplare, die Behörden haben bisher nicht einmal ein Inventar der Flora und Fauna erstellen lassen.“ Nicht nur automobiles Kulturgut, sondern auch ein Naturpark also, den es zu retten gilt. Der Anteilnahme der Öffentlichkeit können sich Franz Messerli und Heinrich Gartentor gewiss sein. Doch ob die nötige politische Unterstützung für ein Bleiberecht der schrottigen Gefährten zu generieren ist, bleibt fraglich. „Wenn wir ihn nicht retten können, wäre mir am liebsten, wenn ein reicher Russe käme, cash bezahlt und das Gelände, so wie es ist, mitnimmt“, sagt Messerli wehmütig. „Und es dann zum Beispiel in Sibirien als Freizeitpark für Oldie-Liebhaber eins zu eins wieder aufbaut.“ Doch soweit ist es noch lange nicht. Am nächsten Morgen wird der Gralswächter die Pforten für Kunstinteressierte und Autoliebhaber erwartungsvoll wieder öffnen. Wenn der Friedhof mit Vogelgezwitscher und Bahnrattern zum neuen, alltäglichen Museumsleben erwacht.


Informationen:

Nationale Kunstausstellung, Eintritt 8 €

31. Mai – 12. Oktober 2008, Mi. – So. 11 – 19Uhr, Autoabbruch Franz Messerli, Moosstraße, Kaufdorf im Berner Oberland. S-Bahn Linie 3 zwischen Bern und Thun.

www.autofriedhof.ch

copyrightRenate Freiling2008

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