Montag, 25. Februar 2008

AvD-Histo-Monte

Wer sagt, dass fliegen schöner ist?
Die AvD-Histo-Monte bringt 50 Young- und Oldtimer an die Côte d'Azur

veröffentlicht am 16. Februar 2008 in der WELT und Berliner Morgenpost

Eine Reise in den Süden ist dieser Tage eigentlich eine feine Sache. Rein in den Flieger, sich entspannt der Fliehkraft hingeben und schon zwei, drei Stunden nach dem Abheben am Mittelmeer aufschlagen. Billig, schnell und bequem. Doch es soll Menschen geben, die nicht davor zurück schrecken, die lange Überlandfahrt „auf Achse“ anzutreten, und noch dazu unterwegs nette Abstecher machen. Was das für Leute sind? Die Antwort ist einfach: die Teilnehmer der Oldtimer-Rallye AvD-Histo-Monte.

Seit 14 Jahren veranstaltet der Automobilclub von Deutschland die etwa 2000 Kilometer lange touristische Orientierungsfahrt, um die Tradition der legendären Rallye Monte Carlo und die Erinnerung an die Klassiker der Rallye-Autos aufrecht zu erhalten. Die tollkühnen Fahrer reisten, oder besser rasten, bis 1996 aus allen Ecken Europas nach Monte Carlo an – aus Kopenhagen, Barcelona, Reims, Turin und dreimal sogar aus dem hessischen Hanau.

Auf den Spuren der 1911 als Sternfahrt erfundenen „Königin des Rallyesports“ verfolgen nun 50 bunt gemischte Vehikel vier Tage lang ein Ziel: den Hafen des Fürstentums zu erreichen; und das, wenn möglich, als Sieger. Schlechter platziert ist auch nicht schlimm, denn dabei sein ist alles. Kreuz und quer eilen sie durch die überwiegend französischen Lande und stoppen die Zwischenzeiten – wie früher. Historische Prüfungen wie die im Tal der Chartreuse, am Col de Bleine und am Col de Turini in den französischen Seealpen sind inklusive.

Nichts für Warmduscher

Die fünf Baujahr-Klassen der 50er bis 80er starten an einem sonnigen Winter-Donnerstag auf dem Hanauer Marktplatz. Wo auch die Schwierigkeiten schon beginnen. Der 8-Zylinder-Triumph TR7 mit der Startnummer 5 erscheint nicht. „Technische Schwierigkeiten“, teilt Fahrer Thomas Schumann, Spezialist für Hanhart-Stoppuhren, per Telefon mit. Fahren will er trotzdem, wenn auch später. Mit etwa 50 Verspätungsminuten passiert der TR 7 das Starttor in Richtung Opel-Testgelände. Hier werden Insassen und Auto auf die erste harte Zeitprobe gestellt und auf abenteuerlichem Straßenbelag erst mal richtig durchgerüttelt. Kaum wieder auf der normalen Straße zurück, sind die anderen Teilnehmer nicht mehr zu sehen. Nur irgendwo am Horizont biegt ein grauer Käfer ab. Das war doch definitiv die falsche Richtung, oder? Wer im Bordbuch, der Orientierungsbibel der Rallye, den Faden verliert, ist aufgeschmissen. Flugs in der Landkarte nachgeschaut und losgeprescht. Die Zeit drängt bereits, ab 15 Uhr ist Mittagspause mit Saumagen und Sauerkraut in Pirmasens. Danach ruft der märchenhafte Pfälzerwald mit einer weiteren Sonderprüfung. 8,27 Kilometer in 10 Minuten und 20 Sekunden. Zu dem Berg an Material auf dem Beifahrerschoß gesellt sich nun auch noch die sogenannte Schnitttabelle, in der nach diesen Vorgaben die Geschwindigkeit zu finden ist. „Das ist eben keine Veranstaltung für Warmduscher“, wie ein Hanauer Zuschauer am Morgen kommentierte. Mitmachen kann trotzdem jeder, der einen mindestens 20 Jahre alten fahrbaren Untersatz mitbringt. Nur möglichst Rallye-authentisch sollte er sein, so wie etwa ein Renault 4 CV, ein 1200er VW Käfer, ein Kadett oder Opel Ascona, in dem Walter Röhrl 1982 die Monte gewann. Dessen ehemaliger Co-Pilot Jochen Berger ist als professioneller Herausforderer mit dem ehemaligen Radprofi Klaus-Peter Thaler am Steuer bereits zum 8. Mal bei der AvD-Histo-Monte dabei. „Es gibt eine Menge an gutem Nachwuchs. Die Rallyes sind besser, genauer und ausgetüftelter als früher“, bemerkt Berger, setzt sich lässig auf den Beifahrersitz und landet in der Tageswertung immerhin auf Platz fünf.


Eine Stoppuhr ist die halbe Miete

Schon am zweiten Morgen ist die 12stündige Tortur des ersten Tages vergessen und das Teilnehmerfeld eine eingefahrene und lustig beflügelte Gemeinschaft. Schumann wird bereits „Schumacher“ genannt. Im Hosenträgergurt sitzt er im TR7 wie festgetackert. Das Cockpit ist voll ausgestattet. Mit Twinmaster zur zweifachen Kilometermessung und Präzisionsstoppuhren fährt er in der Sanduhrklasse – digitales Equipment verboten. „Mit diesen Instrumenten lassen sich Siege einfahren, das werde ich schon zeigen“, sagt er scherzhaft, lässt den Motor aufheulen und startet zum Tiefflug. Die Messgeräte gehören bei den ernst zu nehmenden Rallyefahrzeugen zur Ausstattung, doch eine gute Stoppuhr ist auch für den Laien die halbe Miete. Schade nur, dass vor lauter Einstellungen, Messungen und Bordbuch-Lesen keine Zeit bleibt, die Landschaft zu genießen. Und so wären beinahe einige Teams am atemberaubenden Ausblick auf den Mont Blanc im Abendrot vorbei gerast. Hätte nicht der signalorangefarbene Skoda 110 mit Rallyemeister Matthias Kahle am Steuer einfach mal ausgebremst, bevor das Feld in Aix-Les-Bains zum Betten-Stopp einfliegt.


Der Spaßfaktor

Spartanisch ausgerüstet ist Kabarettist Urban Priol mit seinem Mercedes 190 aus dem Jahre 1959 unterwegs. Der W121 ist kein typisches Rallyeauto, war zu seiner Zeit eher eine gemütliche Großraumlimousine für den Typ „wohlhabender Mann mit Hut“ und wurde auch gern als Taxi genommen. Den Tchibo-Reisewecker im Handschuhfach, Bordbuch und Schreibutensilien auf dem Schoß und sportlehrermäßig die Stoppuhr in der Hand, hockt Fabian Seydel auf dem Beifahrersitz. „Endlich ist mein Beruf mal zum Hobby geworden“, witzelt der Steuerberater und stoppt die Sekunden, die der Bolide für einen Kilometer braucht. Der „Klick“ im Kilometerzähler ist sein Zeichen. Hier wird auch auf dem Fahrersitz richtig gearbeitet, denn der 50 PS-Motor zieht nicht die Wurst vom Teller, geschweige denn die fast 1200 Kilogramm Gewicht ohne Servolenkung die Serpentinen hinauf, und kann kaum den vorgegebenen Durchschnitt von 42 km/h erreichen. Und dann auch noch Trommelbremsen! Das Reizvolle an diesen Rallyes sei das Zusammenspiel dieser alten, damals fortschrittlichen Technik des Oldtimers und der Fahrkünste des Piloten, meint Priol, und bringt den Wagen wenige Zentimeter vor einem steilen Abgrund am Col de Turini um die Kurve. „Bevor ich in de’ Grabe semmel’, versieb’ ich mer libbe die Zeit“, bemerkt er hessisch und nebenbei. Das scheint nicht jeder so zu sehen, schnell greift von hinten ein röhrender Porsche 911 an und überholt gewagt. Hier, wo früher die „Nacht der langen Messer“ gefahren wurde, wächst der Ehrgeiz mit der Faszination der spektakulären Straße. Diese Sonderprüfung ist nur schwer zu schaffen, das Priol-Seydel-Team hat keine Chance gegen geübte alte Hasen.





Das behütete Abenteuer


Die letzte Etappe vom Col de Turini hinab in Richtung Monte Carlo ist nicht lang. Aber sie hat’s in sich. Scharfe Kurven und tiefe Abgründe, die zum Gleitschirmfliegen geeignet scheinen. Kaum vorzustellen, was bei Schnee uns Eis alles passieren könnte. Da wundert sich der beherzte Co-Pilot des Lebenshilfe-Gießen-Käfers, Reinhard Schade, dass die Begleitfahrzeuge stets an den Serpentinen parat stehen, waren sie doch eben noch auf der anderen Seite des Berges. „Alles nur Koordination“, erklärt Johannes Hübner, der in einem der „Orga“-Autos unterwegs ist und den „Begleit-Service“ organisiert. „Im Elsässer Wald haben wir sieben Autos aus dem Schlamm gezogen“, erzählt er, und fragt schmunzend: „Wie die bloß da rein gekommen sind?“ Das Abenteuer der AvD-Histo-Monte ist sicher eines der wohlbehütetsten dieser Sorte. Da fühlt man sich am Boden beinahe sicherer aufgehoben als in der Luft. Beinahe. Heißt es doch im Bordbuch: ‚Die Durchfahrt am Ziel erfolgt „fliegend“.’ Und vielversprechend weist ein Straßenschild mit geflügeltem Hirsch auf Wildwechsel hin.

Das Ziel in Monte Carlo erreichten alle außer einem Volvo, der mit Motorschaden den Rückweg antreten musste. Die Skoda-Piloten Kahle und Göbel flogen als Gesamtsieger, die Profis Thaler und Berger auf dem 2. und die Abenteurer Priol und Seydel auf dem 30. Platz ein. Hanhart-„Zeit-Messer“ Schumann landete auf Position 37.

copyrightRenate Freiling2008

1 Kommentar:

Christian M. R. Stahl hat gesagt…

Das ist in diesem Jahr der Beste Histo Monte-Bericht! Wer schon immer wissen wollte, was uns Verrückte dazu bewegt, unter dem ständigen Druck tickender Uhren mit unseren alten Kisten solche Strecken zurückzulegen, erhält hier nicht nur zutreffende Informationen, sondern er wird - eine nur geringe Autoleidenschaft vorausgesetzt - hoffnungslos infiziert.
Ich habe als Kind ein Buch über einen kleinen Junge gelesen, der mit seinem Vater in der sechziger Jahren an der Original-Rallye teilgenommen hat und seitdem davon geträumt, selbst auch einmal mitfahren zu können. In diesem jahr war es meine dritte Teilnahme, und auch wenn man wirklich bequemer nach Monte Carlo
reisen kann, macht es immer wider Spaß. Wer den artikel gelesen hat, weiß warum. Laßt Euch infizieren!
Fahrt mit!
Und machen Sie weiter so, Frau Freiling! hätte ich diesen Artikel früher gelesen wäre ich schon eher mitgefahren.