Donnerstag, 4. September 2008

Sachsen Classic 2008


Unterwegs im Land der Autopioniere

Begegnungen auf der Sachsen Classic 2008

„Da kommt wieder einer!“ tönt es laut dem heran nahenden Renault 16 TL entgegen. „Schnell ducken!“ Was sich nach Versteckspiel anhört ist eher das Gegenteil. Rückenbeuge, Arme nach vorn, Oberkörper aufgerichtet – einer nach dem anderen - und lang die Hände in die Höhe gestreckt. La Ola - eine Welle vom Feinsten, die acht sächsische Dorfbewohner dem 33 Jahre alten Franzosen sportlich entgegenbringen. Die Oldtimer-Rallye „Sachsen Classic“ rollt übers Land und treibt das autofreundliche Völkchen auf die Straßen. Egal welcher Marke oder Herkunft, die 186 Oldies werden bejubelt, bestaunt und gefeiert im automobilhistorischen Pionierland.

Bewegende Momente der 6. Sachsen Classic sind nicht nur die Begegnungen mit der sympathischen Bevölkerung des schönen Bundeslandes, die mit ihren eigenen Oldtimern, Kindern und Grill-Ausrüstungen die 669 Kilometer idyllischster Landstraßen säumt. Die drei Tage dauernde Rallye, alljährlich veranstaltet vom Oldtimer-Magazin Motor Klassik in Zusammenarbeit mit Volkswagen, führt vorbei an den bedeutenden Orten der sächsischen Automobilgeschichte. Vom August Horch Museum in Zwickau über die ehemalige WM-Rennstrecke Sachsenring und durch das Skoda-Land Tschechien bis hin zur heutigen Produktionsstätte des VW Phaeton, der Gläsernen Manufaktur in Dresden.

Treffpunkt für Benzingespräche ist an den ersten beiden Tagen der Zwickauer Platz der Völkerfreundschaft. Der Name ist Programm. Einheimische Autofans und internationale Touristen tummeln sich vor dem Start zwischen den bunt glänzenden, vierrädrigen Stücken und fachsimpeln mit den Eigentümern. Wenn die Sprachkenntnisse nicht ausreichen, wird mit Händen und Füßen gearbeitet. Stolz hebt Jens Vogt, Besitzer eines giftgrünen Melkus RS 1000 GT, die hintere Hälfte seines Wagens an und präsentiert den 1-Liter-Reihendreizylinder-Motor mit 85 PS. „Das Auto ist trotz des Baujahres 1982 eigentlich funkelnagelneu“, erzählt Vogt, Inhaber eines Autohauses im gleichnamigen Vogtland. „Er wurde nur 15 Mal originalgetreu nachgebaut.“ Die Rennwagen-Manufaktur Melkus in Dresden baute vom damaligen „Zonen-Ferrari“ auf Wartburg-353-Basis 101 Stück von 1969 bis 1979. Gründer Heinz Melkus war nicht nur Fahrzeugbauer, sondern auch Rennfahreridol der DDR. „Mit dem Auto habe ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt“, freut sich Jens Vogt und erklärt die Details. „Die Rücklichter sind von einem Traktor ZT und die Türschlösser vom Trabant. Man konnte im Osten nur mit den Teilen bauen, die man hatte.“ Automobilbau und Fahrzeugentwicklung gingen trotz eingeschränkter Mittel voran. Denn die Motorsportbegeisterung der Sachsen ist nicht zu bremsen. Familienbetrieb Melkus arbeitet schon an einem Nachfolgemodell des seltenen Flügeltürers.

Die erste Etappe führt zum nahegelegenen Sachsenring. Als der erste Oldie eintrifft, wartet bereits fotografierfreudiges Publikum auf den Tribünen. Alle Rallyefahrzeuge, von der 1903 erbauten Oldsmobile-Kutsche über den Bauarbeiter-Bulli bis zum 1988er Trabant Cabrio, dürfen die 81 Jahre alte Rennstrecke bei Hohenstein-Ernstthal und Oberlungwitz ausprobieren. Schon im Jahre 1927 fanden hier Motorradrennen statt – allerdings mit anderem Streckenverlauf als dem jetzigen, der nur noch 3,7 Kilometer lang ist. Voller Elan steuert Bernd Rosemeyer, Sohn des gleichnamigen Rennsporthelden, einen Jaguar XK 120 C drei Runden lang um die je 14 Kurven. Rosemeyer senior bestritt ab 1934 als Werks- und Rennfahrer der Zwickauer Auto Union Grand-Prix-Rennen. Die schon 1932 zusammengeführten Unternehmen der Marken Audi, Horch, DKW und Wanderer entwickelten damals in einer neuen Rennsportabteilung den legendären Silberpfeil. „Nachdem mein Vater 1938 bei einer Weltrekordgeschwindigkeit von 440 Stundenkilometern verunglückte, fuhr ich als kleiner Junge mit seinem Lieblingsonkel schon einmal auf dem Nürburgring“, berichtet der Orthopäde nach der Zieleinfahrt. „Aber für stressige Zeitmessungen habe ich nicht allzu viel übrig, mir machen die Autos Spaß.“ Rosemeyer junior wurde erst vor fünf Jahren von Gerd-Rüdiger Lang, dem Inhaber der Uhrenmanufaktur Chronoswiss auf den Oldtimer-Geschmack gebracht. Seitdem fahren die beiden Rallyes, bei denen Rosemeyer öfters angesprochen wird. „Hier fuhr mein Bruder zu DDR-Zeiten Rallyes“, erzählt ihm ein Rennsportfan, der sich von Rosemeyer gerade ein Autogramm geben lässt. „Er war Ingenieur und Werksfahrer bei der VEB Sachsenring, ähnlich wie Ihr Vater“. Im ehemaligen Horch-Werk, der Geburtsstätte von Audi, begann man 1957 unter dem Namen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau mit der Serienproduktion des Trabant. Über drei Millionen des kleinen "Weggefährten" wurden bis 1991 gebaut. Die Rennpappe ist auf der Sachsen Classic mit einem offenen Prototypen vertreten, der baujahrbedingt mit der letzten Startnummer das Schlusslicht der Oldtimer-Kette darstellt.

Nach kurzem Bettenstopp in Bad Schandau macht sich am Samstag der erste Starter bereits um 8:01 h auf den Weg nach Tschechien und Polen. Im Nationalpark Böhmische Schweiz kommt die Reihenfolge wild durcheinander. Die abenteuerliche Fahrt durch enge Schluchten und über schmale Wege geht nur langsam voran. Nicht nur, weil der Märchenwald einlädt, aus dem Fenster zu spähen. Manch ältere Modelle schaffen die Steigungen nur mit schleppender Unterstützung. Hektik gar bricht aus, nachdem ein Bus auf einer einspurigen Straße einem 72er Chrysler Imperial begegnet, der etwa gleich breit ist. Endlich geht es nach langem Rangieren zügig weiter. Flugs durch Tschechien, wo besonders für den vielfachen Rallye-Meister Matthias Kahle im Skoda 1100 Coupé applaudiert wird, zurück nach Deutschland und dann ein kurzer Ansturm auf den polnischen Zigarettenmarkt. Schnell wieder das Land verlassend eilt das rollende Museum weiter.

So, wie sich die Zuschauer in Gruppen am Straßenrand scharen, bilden sich auch unter den Oldtimern ganze Rudel, bei denen oft der Langsamste vorn ist. Im letzten Trupp hat man’s besonders eilig und der Hintermann drängelt. In einer aufgewirbelten Staubglocke kommt der Renault im voll besetzten „Autokino“ einer Rechtskurve zum Stehen. Der dicht nachfolgende giftgrüne Flitzer zischt vorbei. Langsam taucht aus der sich auflösenden Wolke ein Mensch mit Fotoapparat auf. „Ich warte schon den ganzen Tag auf den Melkus“, schimpft er. „Jetzt haben Sie mir das Foto vermasselt.“ Die anderen etwa 20 Zuschauer können sich vor Lachen kaum auf den Campingstühlen halten. „Dann fotografierst Du halt den nächsten“, ruft einer aus der Menge und hebt automatisch seine Arme, die das Grußbanner hochhalten, als ein echter Ferrari vorbeifährt. So sind die Leute im Autoland Sachsen, sportlich und stets gut gelaunt.

Bei der Siegerehrung in der Gläsernen Manufaktur in Dresden standen Matthias Kahle und Peter Göbel vom Skoda-Team auf dem dritten Platz, das flotte Trabi-Cabrio landete auf Platz 12. Der Melkus hatte zwar Probleme mit dem Regler, kam aber trotz Behinderung immerhin auf Platz 77. Der Renault 16 besetzte den 93. Platz, Rennfahrer-Sohn Rosemeyer schließlich traf den 100. Sieger war der Italiener Luciano Viaro mit seiner blinden Beifahrerin Alessandra Inverardi mit einem Lancia Stratos aus dem Jahr 1974.

copyrightsRenateFreiling2008

Keine Kommentare: