Montag, 20. Juli 2009

Miniklein, aber groß im Rennen




redigierte Version veröffentlicht am 26. März 2009 in Die Welt

Dass ein kleines Auto praktisch, wendig und sparsam ist, versteht sich von selbst. Doch dass selbst ein alter Mini aus den Sechzigern ein Rennsportler sein kann, soll er zu seinem 50. Geburtstag ein Mal mehr beweisen. In einem beim Mutterkonzern BMW beheimateten Werks-Mini aus dem Jahr 1966 ergibt sich die Zeitreise von selbst - zurück in die legendäre Ära der Rallye-Minis. Und Zeitzeuge Rauno Aaltonen (71), ehemaliger Mini-Pilot und vielfacher Rallyesieger dieses Jahrzehnts, erinnert sich.

Der Motor bollert laut über den gesamten Hof, unterbrochen von lautem Aufbrüllen. Bei mindestens 3000 Umdrehungen muss er 20 Minuten warmlaufen. In der warmen, heimeligen BMW-Oldtimergarage wird es leer. Die Mechaniker kommen aus dem Tor, lauschen fasziniert dem Sound und bestaunen den roten Mini mit dem weißen Dach und den vielen Sponsorenaufklebern im Original-Look. Gleich wird er bei einer Überlandfahrt ins Alpenvorland auf Hochtouren gebracht. „Ein Rallye-Auto muss ganz anders gefahren und behandelt werden als ein normales“, schreit Jarek Mirecki, Betreuer der historischen BMW-Schätze, und gibt weiterhin Gas.



Der Morris Mini Cooper S mit der 1000-Seen-Rallye-Startnummer 45 aus der historischen Sammlung von BMW ist einer von 69 zwischen 1959 und 1970 gebauten Werksmodellen der Abingdoner Rennsportabteilung der British Motor Corporation (BMC, einem Zusammenschluss der Unternehmen Austin und Morris mit den dazugehörenden Marken, ab 1952). Gleich in seinem Baujahr 1966 fährt ebendieser mit Timo Mäkinen am Steuer und Pekka Keskitalo als Co-Pilot den Sieg der 1000-Seen-Rallye in Finnland ein. Mäkinen gehört in den 60er Jahren zu den erfolgreichsten Mini-Piloten. Die Finnen Aaltonen, Mäkinen und der Ire Paddy Hopkirk sind nur schwer zu schlagen - ob bei der Rallye Monte Carlo, der Alpen-, Tulpen- oder einer der anderen europäischen Rallies. Die Mutter aller Rallies genannte „Monte“ gewinnen die Mini-Werks-Teams von 1964 bis 1967 gleich viermal hintereinander. Doch bleiben dem Triumvirat Mäkinen, Hopkirk und Aaltonen im Jahr 1966 durch eine fragwürdige Disqualifikation die Podestplätze verwehrt – die britischen Fahrzeuge hätten zu helle, keine serienmäßigen und damit nicht zulässigen Glühbirnen in den Scheinwerfern, begründen die Funktionäre. Die skandalverdächtige Meldung des aberkannten Sieges steigert die Sympathie für den kleinen Renner erst recht. Bis zum Jahre 2000 werden über 5,3 Millionen des kultigen Zwerges verkauft. Von den Werks-Minis bleiben nicht allzu viele übrig, etwa 12 munkelt man.



Der auf dem Hof stehende, mittlerweile warmgelaufene Mäkinen-Mini sei erst vor einigen Jahren aus Japan zurück nach München gekommen, erzählt Jarek und platziert sich links auf dem roten Ledersitz, um von dort der Fahrerin Anweisungen zu geben. Ein Blick auf die Patina im Innenraum lässt erahnen, welche Atmosphäre wohl damals bei der 1000-Seen-Rallye auf kleinstem Raum geherrscht hat. Ersatzräder auf dem Rücksitz, Feuerlöscher vor dem Beifahrersitz und darüber rattert der Tripmaster die Meilen runter. Co-Pilot Keskitalo mit Hosenträgergurt und Aufschrieb auf dem Schoß, Mäkinen konzentriert am Steuer, dicht über Ihnen der mattschwarze Himmel. Die Stab-Leselampe an der Türverkleidung und die vielen Knöpfe gehören zur authentischen Hightech-Ausrüstung. Die Intercom-Anlage - Verstärker, Kopfhörer und Mikrofone – dient der Verständigung auf den Verbindungsetappen, Helme mit Sprechanlage sind bei Sonderprüfungen zu tragen. Dieses Equipment ist jedoch heute nicht im Einsatz, die Verständigung zwischen den beiden Insassen daher erschwert. Hinter der Armada von Schaltern und Instrumenten auf einem mattschwarzen Armaturenbrett lässt der davor sitzende 1298ccm- und 90-PS-Motor lautstark von sich hören, der Durst der zwei SU-Vergaser macht sich am Geruch bemerkbar.

Der erste Gang ist nicht synchronisiert, also viel Gas und rein damit. Go-Kart-typisch, hautnah am Asphalt, stürmt der Mini quietschend los, reagiert auf jede Handbewegung, die er über sein abgegriffenes, lederbezogenes Lenkrad zu spüren bekommt. Nachdem mit dem Gasgeben ein weiteres Geräusch – ähnlich dem einer Kreissäge – einsetzt, ist das ultimative Rallyeambiente geschaffen: kreischendes Getriebe, brüllender Motor, Schalten bei 5-6000 Umdrehungen und das Lenkrad fest im Griff. Den niedlichen Schaltknüppel des rechtsgelenkten Wagens mit links zu bedienen, ist gewöhnungsbedürftig, daher muckt das Getriebe mehrmals laut und schmerzhaft auf. Doch gegen den normalen, alles übertönenden, Lärm im Innenraum kommt nichts an, auch nicht Erklärungen des Beifahrers Jarek, der eigentlich zu groß für den Mini wirkt. Wie kommen überhaupt erwachsene Männer in einem Auto, bei dem zwischen Stoßstange und Füßen nicht einmal ein Meter liegt, auf die Idee Rallye-Sieger werden zu wollen? Rauno Aaltonen, Sieger der Rallye Monte Carlo 1967, weiß dazu Einiges zu berichten.

Die ursprüngliche Idee des Alec Issigonis, Konstrukteur des zuvor von 1948 bis 1956 gebauten Morris Minor, war eine andere als die, eine Rallyerakete zu konzipieren. Er zeichnet in den Jahren der Suez-Krise ein minimalistisches Auto. Erschwinglich soll es sein, leicht und sparsam, für die breite Masse eben. Platzsparende Besonderheit ist der querliegende Motor und das direkt darunter sitzende Getriebe mit nur einen Ölkreislauf. 1959 wird das erste Modell mit 848 ccm vorgestellt. Issigonis’ Freund, der Rennwagenkonstrukteur John Cooper, interessiert sich von Anfang für die Motorenkonstruktion des Mini und steigt in die Entwicklung ein. Als Formel-Junior-Spezialist hat er den Ehrgeiz, kleine Autos schnell zu machen. Er verändert Hub und Bohrung sowie die Übersetzung und stellt 1961 einen leistungsstärkeren Mini vor: den Mini Cooper mit 997 ccm. Es folgen 1963 der Mini Cooper S mit 1071 ccm, später mit 970 und 1275 ccm. Als Stuart Turner, Motorjournalist und exzellenter Co-Pilot, schließlich ab 1961 das Competition Department des BMC um sein Organisations- und Motivationstalent bereichert, erklimmen die Mini-Werksteams von 1962 bis 1967 nicht weniger als 24 mal die Siegertreppen. „BMC hatte auch als erster Wettbewerber über mehrere Jahre die gleichen, vollprofessionellen Fahrerteams“, erklärt Aaltonen.



Im bayrischen Hügelland setzen stürmische Schnee und Graupelschauer ein und erinnern an Rauna Aaltonens Monte-Geschichten, bei denen in eisigen Wintern einige Minis verheizt wurden. „Größte Vorteile hatten wir mit dem Mini bei schlechten Wetter-, Sicht- oder Straßenverhältnissen“, so Aaltonen. „wir konnten später bremsen, weil das kleine Auto blitzschnell quer anzustellen ist.“ Und schon steht die Probe aufs Exempel unmittelbar bevor. Eine Bremsung in einer sich zuziehenden, unübersichtlichen Kurve bei Tempo 80 veranlasst das Hinterteil auszubüchsen. Auch vorn verlieren die 10-Zoll-Räder für einen Moment die Bodenhaftung. Runter von der Bremse und zügig neu beschleunigt, greifen alle vier wieder zu und ziehen den Mini flugs aus der Kurve heraus. Viel kontrollierter hingegen Aaltonens und Mäkinens Spezialität in solchen Situationen: den Mini mit Linksbremsen und Aufpendeln driftend ums Eck zu bringen. “Ohne Drift kann man nicht schnell fahren“, behauptet Experte Aaltonen. So einfach ist das also. Dementsprechend fegt der Mini langsam weiter durch die nächsten Kurven – nur mit 70, aber gefühlten und gehörten 250 Stundenkilometern. Ohne Drift.

Und so erschließt sich langsam der beherzten Fahrerin der Rallye-Vorteil des Minis: Durch den kurzen Karosserieüberhang vorn lässt er sich schnell und punktgenau in jede Kurve einlenken. Die zusätzlich kurzen Abmessungen von 3060 mm Länge und 1410 mm Breite erlauben ihm schnellere und wendigere Manöver auf schmalen Straßen – ein Kurven-Killer, kein Wunder, dass er von größeren Konkurrenten gefürchtet war. Beim Anfahren mit den hohen Drehzahlen quietschen die Reifen regelmäßig, unter 3000 Umdrehungen befindet sich die Grenze zum Ertrinken. Auf gerader Strecke ist das Drehmoment selbst bei hohen Geschwindigkeiten noch deutlich spürbar. Das Limit von 160 Stundenkilometern sind für geübte Rallyepiloten sicher kein Problem. Dieses seltene Museumsstück hat sich jedoch eine Schonung verdient. „Rallye-Motoren halten nur etwa 20.000 km“, ruft Jarek, wohl eine Andeutung zur Garage zurück zu kehren.

Zu sehen ist der Sieger der 1000-Seen-Rallye 1966 auf der Oldtimer-Messe Techno Classica am BMW-Stand in Essen vom 1. bis zum 5. April 2009.

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Technische Daten:
Motor: 4-Zylinder-Reihenmotor
Hubraum: 1298 ccm
Bohrung x Hub 71 x 81,3 mm
Leistung: ca. 90 PS bei 6500 U/min
Getriebe: Viergang Mittelschaltung
Vorderradbremse: Hydraulische Scheibenbremsen
Hinterradbremse: Hydraulische Trommelbremsen
Leergewicht: 678 kg
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h

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